Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
nur wenige Anhaltspunkte besitzen.«
Er legte eine Pause ein. Dann beendete er das Gespräch, indem er seine ganze Autorität in seine Stimme legte:
»Mehr kann ich Ihnen im Moment leider nicht sagen.« Endlich durfte er sich wieder in seinem Büro verkriechen. Skarre widmete sich erneut seinem Flieger. Er wußte, daß Sejer ebenso ungern mit der Presse zu tun hatte. Aber er wußte auch, daß Sejer einen anderen Eindruck hinterlassen hätte. Er hätte der Reporterin in die Augen geschaut und mit fester, sicherer Stimme geantwortet. Zugleich war er so konzentriert, so engagiert bei der Arbeit, daß die Menschen, die die Nachrichten sahen, das Gefühl haben mußten, der Fall sei in den allerbesten Händen. Sie würden sein Gesicht sehen und seiner festen Stimme entnehmen, daß er zutiefst und ganz persönlich betroffen sei. Als wolle er ihnen sagen: Ich übernehme die Verantwortung für diesen Fall. Ich werde feststellen, was passiert ist.
Die Kunst, einen Papierflieger zu falten, war etwas, was Skarre nie beherrscht hatte. Aber jetzt gab er sich alle Mühe. Das Papier war zu dick. Seine Finger waren zu groß und die Nägel zu kurz, die Falten wurden nicht scharf genug. Er knüllte das Blatt zusammen und nahm sich ein neues. Als er es zwischen den Fingern hielt, bewegte es sich in einem Luftzug. Und er schauderte. In diesem Moment tauchte Sejer auf. Er warf einen langen Blick auf die Reporterin und ihren Kameramann, die gerade im Fahrstuhl verschwanden.
»Ich war gestern auf einem Fest«, murmelte Skarre, da Sejer das Kopfschmerzmittel und die Colaflasche auf seinem Pult entdeckt hatte.
»Ist es hoch hergegangen?« fragte Sejer und schaute den weißen Bogen an, der noch immer zwischen Skarres Fingern flatterte.
»So könnte man das sagen«, erwiderte Skarre mit tapferem Lächeln. »Ich mußte einen Typen festnehmen.«
Sejer riß verwirrt die Augen auf.
»Du warst doch wohl nicht im Dienst?«
Skarre faltete weiter. Plötzlich kam alles darauf an, daß ihm dieser Flieger gelang. »Geht es dir auch so wie mir?« fragte er. »Daß du sehr ungern erzählst, was du von Beruf bist? Ich meine, anderswo. Auf Festen und so?«
»Ich gehe nicht oft auf Feste«, sagte Sejer. »Aber ich kenne das Problem.«
Skarre machte sich am Papier zu schaffen. »Gestern abend war da so ein richtig aufgeblasener Kerl. So einer, der zu allem seine Meinung hatte. Als ich erzählte, daß ich hier arbeite, ging er so richtig hoch. War einfach Feuer und Flamme. Vor allem ging es ihm um das norwegische Gefängniswesen. Ich habe das alles schon so oft gehört und sage meistens nichts dazu. Aber gerade diesem Typen wollte ich dann einfach eins auswischen.«
Er drehte das Papier um und faltete weiter. »Er hat sich über die luxuriösen norwegischen Gefängnisse verbreitet, mit Dusche und Fußbodenheizung und Bibliothek und Kino und Computer in der Zelle. Über Konzerte bekannter Künstler, über Psychologen und andere Fachleute, die den Insassen zur Verfügung stehen. Über Trainingshallen und Ausflüge und Urlaub und Besuch. Er zählte eine endlose Menge von Gütern auf, zu denen normale, ehrliche Leute seiner Ansicht nach keinen Zugang haben. Kurz gesagt, hielt er einen Aufenthalt in einem Hotel mit Vollpension nicht für eine Strafe.«
»Und dann hast du ihn festgenommen?« fragte Sejer. Er unterdrückte ein Lächeln. Er selbst war über diese Dinge hinaus.
»Das war bei einem Freund in Frydenlund«, sagte Skarre. »Er wohnt da in den Blocks. Ist verheiratet und hat einen kleinen Sohn. Wegen des Festes übernachtete der Junge bei seinen Großeltern. Das Kinderzimmer war also leer. Dann wollen wir doch mal ein Spielchen machen, sagte ich zu dem Idioten. Hiermit wirst du zu sechs Jahren Haft verurteilt. Und diese sechs Jahre wirst du auf acht Quadratmetern verbringen. Er fand das alles sehr komisch. Griff nach dem Cognacglas und wollte sofort anfangen. Ich mußte ihn daran erinnern, daß Alkohol in der Zelle nicht gestattet ist. Das sah er ein, und deshalb stellte er sein Glas weg, und wir zogen allesamt zum Kinderzimmer. Es hat schätzungsweise acht Quadratmeter, die Größe paßte also. Ich bat um einen Schlüssel, und den bekam ich auch. Dann schoben wir den Trottel rein, mit Geschrei und Gebrüll natürlich, er hatte keine Ahnung, was ihm bevorstand. Das Zimmer enthielt ein Etagenbett, einen kleinen Fernseher, ein Bücherregal, allerlei Comics, einen Plattenspieler und ein paar Schallplatten. Und dann schlossen wir die Tür
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