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Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Sekunden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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wolltest du eigentlich in Oslo?« fragte Skarre jetzt geduldig.
    Tomme zögerte. »Nichts«, gab er zu. »Ich fahr eben gern. Auf der Autobahn. Da kann ich richtig Gas geben.«
    »Ja, klar.« Skarre nickte verständnisvoll. »Aber jetzt zu etwas ganz anderem«, sagte er. »Dieses Rad, mit dem Ida unterwegs war. Weißt du, was das für eine Marke ist?«
    »Keine Ahnung.«
    »Du bist sicher nicht viel mit deiner zehn Jahre alten Kusine zusammen. Und das kann ich ja verstehen. Aber sie war oft bei euch im Haus. Was ist mit der Farbe? Kannst du dich an die erinnern?«
    »Gelb, glaube ich.«
    »Richtig.«
    »Aber das weiß ich eigentlich aus der Zeitung«, sagte Tomme. »Da ist doch dauernd von dem gelben Rad die Rede.«
    »Und du hast sie am 1. September nicht gesehen?«
    »Dann hätte ich doch Bescheid gegeben«, sagte Tomme rasch.
    »Ja, das hättest du, nicht wahr?«
    »Natürlich.«
    Tomme steigerte sich jetzt in eine gewisse Erregung. Es war eng im Auto, und er kam sich in die Ecke gedrängt vor.
    »Wie lange kennst du Willy Oterhals schon?« fragte Skarre.
    »Eine ganze Weile«, antwortete Tomme. »Warum werde ich dermaßen ausgequetscht?«
    »Ist dir das unangenehm?« fragte Skarre und fing seinen Blick ein.
    »Willy hat doch nichts damit zu tun«, sagte Tomme ausweichend.
    »Damit?« fragte Skarre unschuldsblau. »Du meinst mit Idas Verschwinden?«
    »Ja. Und wir treffen uns auch nicht mehr so oft. Er hilft mir nur bei der Reparatur.«
    Skarre schnippte den Zigarettenstummel aus dem Fenster. Dann nickte er zum Schulhaus hinüber. »Fühlst du dich hier wohl?«
    Tomme schnitt eine Grimasse. »Es ist nicht so schlimm. Im Frühling bin ich ja fertig.«
    »Und was hast du dann vor?«
    »Sie sind schlimmer als meine Mutter«, sagte Tomme verärgert. »Ich habe überhaupt nichts vor. Vielleicht such ich mir einen Job«, fügte er hinzu. »Am liebsten in einem Plattenladen. Oder einem Videoverleih.«
    »Die Suchaktion nach Ida geht noch weiter«, sagte Skarre. »Wirst du mitmachen, was glaubst du?«
    Tomme wandte sich ab und starrte aus dem Fenster. »Wenn meine Mutter mir zusetzt«, sagte er. »Aber große Lust habe ich nicht.«
    »Viele Leute finden solche Suchaktionen spannend«, sagte Skarre.
    »Ich nicht«, sagte Tomme.
    *

K ONRAD S EJER FUHR auf den Parkplatz der Glassverket-Schule. Idas Klassenlehrerin erwartete ihn schon. Eine große, blonde, engagierte Frau von Mitte Vierzig. Sie stellte sich als Grethe Mørk vor.
    »Ja, und jetzt warten sie schon«, sagte sie. »Ich habe sie natürlich gut vorbereitet. Und ich brauche Sie ja wohl nicht daran zu erinnern, daß sie erst zehn sind, Sie wissen also, daß sie sich leicht fürchten und daß das, was sie ertragen können, Grenzen hat. Aber Sie machen das ja vermutlich nicht zum ersten Mal, und da wissen Sie sicher, was Sie zu sagen haben.«
    Sie öffnete für ihn die Türen und ging mit raschen Schritten auf sehr hohen Absätzen vor ihm her. Sie war elegant gekleidet, in Rock und Pullover. Um den Hals trug sie mehrere Ketten, Armreifen schmückten ihr Handgelenk.
    »Ich habe ihnen gesagt, daß sie Fragen stellen dürfen«, sagte sie jetzt, während sie über den Gang eilte und Sejer diesen ganz besonderen Schulgeruch wahrnahm, der noch derselbe war wie in seiner Kindheit. Linoleum. Grüne Seife. Verschwitzte Kinderkörper. Und der Geruch von feuchter Kleidung an den Haken neben den Türen.
    »Und Sie wissen ja selbst, welche Fragen Sie beantworten können und wie. Die Kinder sind sehr gespannt«, sagte sie. »Mehrere Eltern haben angerufen. Einige wollten dabeisein, aber ich habe abgelehnt. Das hatten wir ja schließlich nicht ausgemacht.«
    Sejer folgte ihren eiligen Schritten und sah, wie der Rock um ihre Waden wogte. Sie war nervös.
    »Wenn sie heute aus der Schule nach Hause kommen, werden sie garantiert ausgefragt«, sagte sie lächelnd. »Und ich kann nur hoffen, daß sie ihre Phantasie zügeln können. Kinder übertreiben gern. Damit kenne ich mich aus.«
    Sejer lächelte höflich, behielt aber sein Schweigen bei. Und sie schien plötzlich ihren Redefluß bemerkt zu haben, denn sie verstummte und sagte kein Wort mehr. Schließlich öffnete sie die Tür zu einem Klassenzimmer.
    Vierzehn Kinder starrten ihn neugierig an. Hier müßten fünfzehn sitzen, dachte er. Ein Tisch in der Fensterreihe war leer. Dort brannte eine Kerze. Er betrachtete den Tisch, die Kerze und die ernsten Kindergesichter. Manche starrten ihn ungeniert an. Andere schauten verlegen nach

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