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Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Sekunden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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und Bohrer und Dynamit ihr Glück versucht. Sie hatte ihn angewärmt, um ihn zum Bersten zu bringen, sie hatte ihn einfrieren lassen und ihn mit nadelspitzen Wörtern gestochen. Aber er schwieg. Er würde immer schweigen.
     
    Während Emil Johannes in die brüllenden Wassermassen starrte, warteten Ruth und Sverre Rix auf Tomme. Sie hatten versucht, ihn mit dem Mobiltelefon anzurufen, aber er antwortete nicht. Ruth hatte Helge und Bjørn gefragt, aber da war er nicht. Marion blätterte in einem Fotoalbum, das Bilder von ihr und Ida enthielt. Auf mehreren Bildern war auch die Katze zu sehen. Sie war vom Schulbus überfahren worden; sie hatten sie in einer Schneewehe gefunden. Sie war platt und von ihren Innereien beschmiert gewesen. Jetzt war auch Ida verschwunden. Ich bin allein übrig, dachte Marion. Sie verdeckte Ida und die Katze mit einem Finger und sah ihr eigenes Gesicht weiß und allein vom Bild leuchten. Endlich hörten sie den Opel vorfahren. Ruth und Sverre tauschten einen Blick. Sie hörten, wie die Garagentür sich öffnete und danach zugeknallt wurde. Dann öffnete er die Tür. Sie hörten seine Schritte, er schaute nicht ins Wohnzimmer. Das macht er fast nie mehr, dachte Ruth. Er kam ihr eher vor wie ein Mieter, der unabhängig von der übrigen Familie kam und ging. Sie erhoben sich und folgten ihm nach oben. Marion schaute lange hinter ihnen her. Dann beugte sie sich wieder über das Album.
    Sverre Rix klopfte kurz an die Tür seines Sohnes, dann öffnete er die Tür. Tomme hatte den Computer eingeschaltet. Von den an den Seiten aufgestellten Lautsprechern waren seltsame Geräusche zu hören, leises unregelmäßiges Ploppen, wie muntere Regentropfen, dachten die Eltern. Als der Vater einen Fuß ins Zimmer setzte, mischte ein tieferes Dröhnen sich unter das Ploppen. Das brachte Sverre sofort auf andere Gedanken. Es regnete leicht, aber bald würde der Regen an Kraft zunehmen.
    »Tomme«, sagte er und schaute den Sohn an. »Sie haben Ida gefunden. Sie ist tot.«
    Tomme, der sie fröhlich angesehen hatte, schien zu erstarren.
    »Wo?« fragte er rasch. »Wo haben sie sie gefunden?«
    Der Vater musterte ihn mit ernster Miene.
    »Wo, fragst du? Irgendwo in der Nähe von Lysejordet. Auf einer Wiese. Sie ist tot«, wiederholte er. »Helga ist total zusammengebrochen.«
    »Lysejordet?«
    Tomme senkte den Kopf. Eine Zeitlang musterte er die Tapeten.
    »Aber – wie ist sie denn gestorben?« fragte er leise. Was macht er für ein seltsames Gesicht, dachten die Eltern. Und seine Stimme klingt fremd.
    »Das wissen sie noch nicht«, sagte sein Vater. »Aber sie werden es natürlich herausfinden. Wir kennen noch nicht alle Einzelheiten«, fügte er hinzu.
    Tomme war ziemlich weiß im Gesicht. Er wußte einfach nicht, was er sagen sollte. Noch nie zuvor war jemand mit einer Todesbotschaft in sein Zimmer getreten. Dann fiel ihm seine Tante ein.
    »Wie geht es Tante Helga?« fragte er. Der Vater schaute Ruth an. »Wir wissen nicht sehr viel. Sie haben sie mit Medizin vollgepumpt.«
    »Sie ist noch nicht ansprechbar. Können wir uns einen Moment setzen?« Ruth hockte sich aufs Bett. Der Vater blieb in der Tür stehen. Tomme drehte den Computer leiser. Er rutschte auf seinem Stuhl hin und her und fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut.
    »Jetzt steht uns die Beerdigung bevor, mit allem, was dazugehört. Ich dachte, du könntest den Sarg tragen«, sagte Sverre. »Du und ich. Onkel Anders und Tore und Kristian. Und ein Lehrer aus der Schule. Ist dir das recht?«
    Tomme nickte mechanisch. Dann ging ihm auf, was das bedeutete. Er sollte sich in der Kirche erheben und neben Idas Sarg treten. Der ist bestimmt nicht sehr groß, dachte er. Danach mußte er einen Handgriff anfassen und sie aufheben, zusammen mit fünf anderen. Er würde ihr Gewicht wahrnehmen. Wenn er vorn ging, würde sein Kopf sehr dicht bei Idas Kopf sein. Er mußte im selben Takt gehen wie die anderen, durfte nicht stolpern, durfte den Sarg nicht aus dem Griff verlieren. Der Sarg mußte die ganze Zeit gerade gehalten werden, sonst konnte sie darin hin und her rutschen. Er wußte es nicht so recht. Aber ihm ging der Ernst der Lage auf, und sein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen.
    »Ist dir das recht?« fragte der Vater.
    Wieder nickte Tomme. Danach dachte er, daß es auch ein Wendepunkt sein würde, Ida zum Grab zu tragen. Denn dann würde er ihren Körper endgültig in der Erde verschwinden sehen. Und dann könnten sie vielleicht endlich einen

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