Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
anderen aussehen? Egal, wie seine Antwort ausfiele, Sejer könnte einen Aspekt anbringen, den er noch nicht bedacht hatte. Jetzt stand er da und wartete auf die Antwort. Tomme konnte nicht mehr länger zögern, also sagte er die Wahrheit, es sei zwölf Uhr nachts gewesen. Und Sejer hörte zu, machte sich seine Gedanken. Tomme wagte fast nicht, sich zu bewegen, und er fürchtete das Schlimmste. Daß diese ganze Wahrheit, daß er den Wagen genau dort und genau um Mitternacht beschädigt hatte, trotzdem sein Schicksal besiegeln werde.
»Du bist um sechs Uhr hier losgefahren«, sagte Sejer langsam und nachdenklich, als sehe er das Ganze vor sich.
»Ja«, sagte Tomme. Auch das war die Wahrheit. Fast alles ist die verdammte Wahrheit, überlegte er.
»Wo wolltest du hin?«
»Zu Bjørn«, sagte er. »Aber der war nicht zu Hause. Und da bin ich zu Willy gefahren.«
Abermals die Wahrheit. Die reine Wahrheit.
»Und da warst du – bis wann?«
»Bis kurz vor zwölf.«
»Und dann bist du in den Ort gefahren. Um zwölf Uhr nachts?«
»Ja.«
Wieder wahr, unerträglich wahr.
»Danach kam dieser Unfall im Kreisverkehr. Was wolltest du so spät noch im Zentrum?«
»Ach, einfach nur rumfahren. Ohne Sinn und Zweck«, fügte er trotzig hinzu.
»Du hast gesagt, du wolltest in Richtung Oslo. Stimmt das?«
»Nur, um ein wenig Autobahn zu fahren«, sagte Tomme. »Ich wollte nicht ganz bis Oslo.«
»Du warst um ein Uhr nachts zu Hause«, sagte Sejer. »Was hast du zwischen zwölf und eins gemacht?«
»Ich bin zu Willy zurückgefahren«, sagte Tomme. Auch das war die reine Wahrheit.
»Nachdem du die ganze Zeit von sechs bis zwölf bei ihm gewesen warst, bist du noch einmal zu ihm gefahren?«
»Ja. Wegen der Beule. Ich war ziemlich fertig«, gab er zu. »Ich mußte sie irgendwem zeigen. Willy sollte nachsehen, ob er sie reparieren könnte.«
Alles klingt so verdächtig, dachte Tomme niedergeschlagen. Auch wenn ich nur die Wahrheit sage.
»Wie lange kennst du Willy Oterhals schon?« fragte Sejer.
»Einige Jahre.«
»Seid ihr viel zusammen?«
»Jetzt nicht mehr. Meine Eltern sind nicht gerade begeistert von ihm«, gab Tomme zu.
»Weißt du etwas über seine Vergangenheit?« fragte Sejer jetzt.
Tomme wurde unsicher. Er wußte schon etwas. Details hatte er nie hören wollen, eben weil er nicht in irgendwelche verbotenen Dinge hineingezogen werden wollte. Er war trotz allem ein anständiger Junge. Aber wenn er sagte, er habe keine Ahnung, dann würde das vielleicht nicht überzeugend klingen. Es war unmöglich zu wissen, mit welcher Antwort dieser Mann sich zufriedengeben würde.
»Ich muß zugeben, daß ich nicht immer genau weiß, was er so macht«, sagte er endlich. »Da halte ich mich auch raus.«
Sejer schwieg. Aber er sah Tomme lange und nachdenklich an. Trotz seiner Nervosität hatte der Junge etwas Unschuldiges an sich. Etwas Anständiges.
»Paß genau auf, mit wem du dich anfreundest«, mahnte er.
Dann fuhr er davon.
Sie setzten ihre ganze Hoffnung auf das Nachthemd. Es war ihre stärkste Karte, sie ließ sich bis zum Laden zurückverfolgen und über den Laden zum Käufer. Wenn sie Glück hatten. Skarre trabte zielstrebig mit einer Einkaufstüte in der Hand durch die Fußgängerzone. Er suchte nach dem Wäschesalon Olav G. Hanssen. Der lag dem Warenhaus Magasinet gegenüber. Jacob Skarre hatte so einen Salon noch nie betreten. Er fand ihn sehr exotisch. Ein Wirrwarr von schön gewölbten Körbchen, Verschnürungen und Spitzen, Rüschen und Schleifen. Wunderschöne Farben. Imposant geschnürte Korsetts, Unterröcke und Strümpfe. Eine nicht mehr junge Dame stand hinter dem Tresen und ging einen Karton mit Seidenstrümpfen durch. Ihr Blick fiel auf den Lockenkopf in Uniform, und sie lächelte zuvorkommend. Skarre schlenderte zum Tresen und sah sich die Strümpfe an. Sie waren von der Sorte, die oben ein Gummiband aufweist, so daß sie wie von selbst halten.
Er musterte die Verkäuferin. Höflich, gepflegt und nicht mehr jung. Vermutlich hatte der Salon einen festen Kundinnenkreis, und vermutlich waren die Kundinnen Damen im Alter der Verkäuferin. Sie kannte Hinterteile, Brüste und Oberschenkel ihrer Kundinnen, und nach einigen Jahren hinter diesem Tresen wußte sie sicher auch sonst allerlei über sie. Was ihnen gefiel und was nicht und wie sie in Unterwäsche aussahen.
Skarre legte die Tüte mit Idas Nachthemd auf den Tisch. Vorsichtig packte er es aus. Es war jetzt wieder trocken und ganz sauber, und es
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