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Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Sekunden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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durstig.«
    Snorrasons Gesicht zeigte keinen Anschein von Gefühlen, als er seine Erklärungen brachte. Er dozierte fast schon, und solange es um sein Fachgebiet ging, fiel es ihm leicht, die Gefühle auszusperren.
    »Sie könnte angefahren worden sein«, sagte er jetzt. »Ein Motorrad wäre zum Beispiel in Höhe ihres Brustkastens gewesen. Aber es gibt etwas, das nicht zu dieser Theorie paßt.«
    »Was denn?« fragte Sejer.
    »Stellen wir uns zuerst ein Auto vor«, sagte Snorrason. »Wenn Ida auf der Straße von einem Auto erfaßt worden wäre, dann hätte das ihre Waden erwischt. Sie hätte sich die Beine gebrochen. Danach wäre ihr Kopf auf den Asphalt aufgeprallt, wenn sie von hinten angefahren worden wäre, oder auf die Motorhaube, wenn es von vorne passiert wäre. Und wenn sie auf dem Fahrrad getroffen worden wäre, dann würde das Rad Schäden aufweisen. Das tut es aber nicht. Es sieht fast so aus, als habe sie auf dem Boden gelegen, als sie verletzt wurde. Und dann müßte es sich doch eher um eine Art Mißhandlung handeln. Um Schläge oder Tritte. Und sie hat sich nicht mit den Händen wehren können. Die sind ja völlig unversehrt. Wenn sie getreten worden ist, dann mit bloßen Füßen. Schuhe hätten irgendwelche Spuren hinterlassen. Aber der Mann ist clever. Er hat sie umgezogen. Ihre eigenen Kleider hätten uns bessere Hinweise gegeben.«
    »Du meinst also, deshalb ist sie im Nachthemd gefunden worden? Das mit dem Nachthemd ist an sich weniger wichtig, es ging nur darum, daß sie saubere Kleidung trug, ohne Spuren?« fragte Sejer.
    »Meinst du nicht?« fragte Snorrason. Er griff nach einer blauen Thermoskanne und goß sich Kaffee in einen Becher. Sejer lehnte ab.
    »Er hätte sie doch auch nackt in die Decke wickeln können. Das Ganze ist irgendwie romantisch«, sagte Sejer nachdenklich. »Weiblich.«
    »Sie war sehr schön eingepackt«, sagte Snorrason. »Das kommt nicht oft vor. Aber hier ist ja nichts wie sonst.«
    »Ist sie auf irgendeine Weise mißbraucht worden?«
    »Ich habe nichts entdecken können. Aber man kann einem Kind viel antun, ohne physische Spuren zu hinterlassen. Die Decke ist übrigens geflickt«, sagte er dann. »Jemand hat sie repariert, und zwar überaus sorgfältig.«
    »Eine Person, die nähen kann«, sagte Sejer. »Wieder dieser weibliche Aspekt.«
    »Es ist ein Stück einfarbiger Stoff eingelassen worden, bei dem es sich um einen Rest Laken handeln kann«, sagte Snorrason. »Ansonsten gab es nicht einen Tropfen Blut, weder an Ida noch an ihrer Kleidung oder der Decke.«
    »Was ist mit dem Klebeband, das um die Decke gewickelt war?« fragte Sejer.
    »Ganz normales braunes Paketband, das alle im Haus haben.«
    »Und ihr Mageninhalt? Was kann der dir sagen?«
    »Daß sie seit vielen Stunden nichts gegessen hatte. Das Nachthemd«, fügte er hinzu. »Das hat dir noch nichts gebracht?«
    »Wir suchen noch. Eine Kollegin behauptet, es könne aus keinem Billigladen stammen. Also werden wir in den Wäschesalons fragen.«
    »Davon gibt es doch sicher nicht so viele?«
    »Fünf Stück, allein hier in der Stadt. Die fünf Läden haben insgesamt zwölf Angestellte. Das wird eine nette Aufgabe für Jacob Skarre«, sagte Sejer. »Wenn er fertig ist, kennt er die Wäschesalons der Stadt wie seine Westentasche.«
    »Er ist doch Single«, sagte Snorrason und lachte. »Vielleicht kann er da noch was lernen. Unterwäsche ist heute doch fast eine Wissenschaft. Weißt du, daß vieles, was die Mädels unter den Kleidern haben, ein Nebenprodukt der Weltraumindustrie ist?«
    »Nein«, sagte Sejer. »Von so was habe ich keine Ahnung.«
    Er war aufgestanden und zog sich gerade die Jacke an. Snorrason leerte seinen Kaffee auf einen Zug und schob die Tasse zurück. »Also«, sagte er. »Was denkst du jetzt?«
    »Ich denke jetzt folgendes«, sagte Sejer. »Die weitaus meisten Menschen, die in diesem Land ermordet werden, werden von Bekannten ermordet.«
    *

T OMME HÖRTE UNTEN die Haustürklingel gehen. Er lief die Treppen hinunter, um zu öffnen. Als er den fremden Mann auf der Treppe sah, war er sofort nervös.
    »Konrad Sejer. Polizei.«
    Tomme versuchte, sich zu fassen.
    »Meine Eltern sind im Krankenhaus«, sagte er rasch. »Sie besuchen Tante Helga.«
    Sejer nickte. Der junge Mann hatte etwas Verkniffenes und Nervöses. Das weckte seine Neugier.
    Tomme blieb in der offenen Tür stehen. Jetzt bereute er, überhaupt geöffnet zu haben.
    »Du bist Ida Joners Vetter, nehme ich an?« fragte Sejer.
    Tomme

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