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Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Sekunden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Wenn der Vogel nicht wirklich willkommen ist, dann soll er lieber hierbleiben.«
    Er öffnete eine Käfigtür und hob den grauen Papagei heraus. Der saß ganz still auf seiner Hand. Die Federn zitterten.
    »African Grey«, sagte er hingerissen. »Ein Weibchen. Fünf Monate alt. Persönlich ziehe ich ja das Männchen vor. Das wird um einiges größer, der Schwanz hat lebhaftere Farben, und der Schnabel ist viel eleganter. Aber sie sind schwerer zu zähmen als die Weibchen. Manchmal gibt es auch bösartige Männchen. Die lassen sich nicht zur Zucht verwenden und sinken dann im Wert. Sie bringen die Weibchen einfach um, statt sich mit ihnen zu paaren.« Er grinste, als finde er diese Idee gar nicht so schlecht. »Aber wenn ich so einen Vogel verkaufe, dann sage ich das gleich. Es ist nämlich oft so, daß das Interesse der Leute nachläßt, wenn sie das Tier eine Zeitlang haben. Sie kümmern sich immer weniger darum und betäuben ihr schlechtes Gewissen damit, daß sie noch eins kaufen. Und das endet dann manchmal in einem Blutbad«. Er lächelte.
    Dann streichelte er den Kopf des Vogels.
    »Warum fliegt der nicht?« fragte Skarre verwundert.
    »Das kann er nicht. Die Flügel sind beschnitten.«
    Sofort sank er in Skarres Achtung.
    Bjerke erklärte: »Nur solange sie hier sind. Die Federn wachsen schnell wieder nach, und dann sind sie wie neu.«
    »Wie gut«, sagte Skarre erleichtert. Er zog die rote Feder aus der Tasche und hielt sie Bjerke vor die Augen. »Diese hier«, sagte er gespannt, »was sagen Sie dazu?«
    Bjerke setzte den Vogel in den Käfig und nahm die Feder zwischen zwei Finger.
    »Die stammt sicher von einem African Grey«, meinte er. »Eine Schwanzfeder. Vermutlich von einem großen Exemplar.«
    »Wissen Sie noch, wann Sie zuletzt so einen verkauft haben?« fragte Skarre.
    »Ach«, sagte Bjerke zögernd. »Das ist lange her. Genau weiß ich es wirklich nicht mehr. Die Leute haben Sittiche lieber. Wegen der bunten Farben.«
    »Haben alle Vögel hier Namen?« fragte Skarre.
    Bjerke schüttelte den Kopf. »Meine Kakadus heißen Kastor und Pollux. Die anderen haben keine Namen. Die Käufer wollen sich selber welche ausdenken. Es wäre dumm, sie vorher schon zu taufen.«
    Das sah Skarre ein. »Könnten Sie sich mal umhören, wenn jemand etwas für einen Papagei kauft?«, fragte er. »Erkundigen Sie sich, seien Sie ein wenig neugierig. Vor allem, was die Namen angeht. Ich suche einen Vogel namens Heinrich.«
     
    Sejer kam bei den Papieren auf seinem Schreibtisch nicht weiter. Er hatte sich an den vielen Berichten blind gelesen, hatte verzweifelt nach etwas gesucht, das sie übersehen haben könnten. Versucht, Sinn oder Zusammenhang zu finden, sich ein Bild der Ereignisse zu machen. Was liegt hier denn bloß für ein Verbrechen vor? fragte er sich. Das Ganze hat etwas Merkwürdiges an sich. Etwas Fremdes. So etwas ist mir noch nie untergekommen.
    Er verließ das Büro und setzte sich ins Auto. Fuhr in ruhigem Tempo den Drammensvei entlang und hielt fünfunddreißig Minuten später vor dem Gerichtsmedizinischen Institut.
    »Das sieht dir ähnlich«, sagte Snorrason. »Also komm rein.«
    Er sprach mit Sejer wie mit einem ungeduldigen Kind. Dann löschte er seine Leselampe und wirbelte mit seinem Sessel herum.
    »Wie schon gesagt«, setzte er an, »ist Ida an inneren Blutungen gestorben. Sie ist mit einem sehr schweren Gegenstand gestoßen oder geschlagen worden, wir wissen nicht, womit. Aber sie kann trotzdem noch eine Weile gelebt haben.«
    »Kannst du mir sagen, wie lange?«
    »Vielleicht ein oder zwei Stunden.«
    Sejer streifte die Jacke ab und setzte sich.
    »Erklär mir das ein wenig genauer«, bat er. »Woher hatte sie die inneren Blutungen, und warum ist sie daran gestorben?«
    Snorrason faltete auf seinem Schoß die Hände.
    »Mehrere Rippen sind gebrochen, und zwar an mehreren Stellen. Ein Lungenflügel ist perforiert, die Leber aufgerissen. Also blutet sie von der Leber in die Bauchhöhle. Nach und nach sinkt ihr Blutdruck. Dieser kleine Mädchenkörper enthielt vielleicht zweieinhalb Liter Blut. Als ein Liter in ihrem Bauch verschwunden ist, ist sie dem Tode nahe. Langsam verrinnt ihr Bewußtsein. Wenn der Druck unter vierzig oder fünfzig sinkt, verschwindet sie aus dieser Welt.«
    »Hat sie leiden müssen?« fragte Sejer.
    »Mit einem perforierten Lungenflügel? Ja. Es sticht wie mit Messern, wenn sie einatmet. Ihr war sehr schlecht, sie fühlte sich krank. Sie war bleich, schweißnaß und

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