Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
das nervös. Willy schien nicht aufgeben zu wollen, und Tomme sah keine Möglichkeit, sich dem zu entziehen. Am Ende setzte er sich in seinen Opel und fuhr zu Willys Haus. Wie immer stand Willy in der Garage. Er hatte die Motorhaube des Scorpio geöffnet, und sein Hintern hing über der Kante.
»Hältst du jetzt schon Winterschlaf, oder was?« fragte er, als Tomme hereinkam.
»Nein, nein«, sagte der. »Das liegt an meinen Alten.«
»Scheiße, du bist doch erwachsen«, sagte Willy. »Du kannst dich doch treffen, mit wem du willst?«
»Natürlich«, behauptete Tomme. »Ich bin ja auch hier. Oder was?«
Willy tauchte wieder in den Motor ab. Er schwieg. Tomme wartete.
»Warum hast du angerufen?« fragte er. Eigentlich wäre er am liebsten gleich wieder nach Hause gefahren oder hätte bei Bjørn oder Helge vorbeigeschaut. Aber er konnte Willy nicht so einfach stehenlassen. Das spürte er. Nach allem, was passiert war.
»Ich würde gern mal einen Ausflug nach Kopenhagen machen«, sagte Willy.
Er richtete sich auf und zog Putzwolle aus einer Tüte, die auf dem Boden lag. Dann spuckte er in seine Handflächen und rieb sich Schmutz von den Fingern. »Ich dachte, du würdest vielleicht gern mitkommen.«
»Nach Kopenhagen?« fragte Tomme unsicher.
»Mit der ›MS Pearl of Scandinavia‹«, sagte Willy. Er zog eine Broschüre aus einer Overalltasche. Dann verbreitete er sich über die Wunderwelt dieses Schiffes.
Tomme war noch nie mit der Dänemark-Fähre gefahren. Und er hatte auch kein Geld.
»Nagelneuer Kahn«, sagte Willy eifrig. »Das reine Kreuzfahrtschiff. Ich muß in Kopenhagen was erledigen. Du kannst doch mitkommen?« drängte er. Es hörte sich an wie ein Tadel. Tomme fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Er griff nach der Broschüre.
»Die ist überhaupt nicht neu«, sagte er, nachdem er eine Weile gelesen hatte. »Sondern nur frisch renoviert.«
»Das kommt doch aufs selbe raus«, meinte Willy.
»Du weißt, daß ich mir das nicht leisten kann«, sagte Tomme.
Er legte die Broschüre auf den Tisch. Dort lag sie zwischen Putzlappen und anderem Kram.
»Und du weißt, daß ich dir Geld leihen kann«, sagte Willy.
Tomme dachte nach. »Etwas erledigen?« fragte er skeptisch. »Mit diesen Geschäften will ich nichts zu tun haben, und das weißt du.«
Die Einladung machte ihn unsicher. Vielleicht hatte Willy irgendwelche Hintergedanken.
Willy zuckte mit den Schultern. »Das ist doch nur eine Kleinigkeit. Ich muß in einer Kneipe vorbeischauen. Im Spunk«, sagte er. »Das dauert nur zwei Minuten. Du kannst ja irgendwo auf mich warten. Wenn du Angst hast, daß dir der Boden unter den Füßen heiß wird. Und die restliche Zeit machen wir in der Stadt einen los.«
»Ich will in nichts hineingezogen werden«, sagte Tomme.
Das sagte er mit aller Autorität, die er aufbringen konnte. Wenn Willy in irgendeine Geschichte hineinschlidderte, dann könnte er selbst vom Sog erfaßt werden. Tomme hatte noch nie eine Freundin gehabt, aber er stellte sich vor, daß es leichter wäre, mit einem Mädchen Schluß zu machen, als Willy den Rücken zu kehren.
Er merkte aber auch, wie gespalten er war, wie wichtig es für ihn war, daß Willy immer Geld hatte. Daß er ihn jetzt zu dieser Spritztour nach Kopenhagen einladen wollte. Daß er den Wagen ohne Gegenleistung repariert hatte. Und es reizte ihn auch ein wenig, vor allem wegzulaufen. Vor der bedrückten Stimmung zu Hause. Der Polizei, die plötzlich vor der Tür stand. Der Mutter und ihrem forschenden Blick.
»Von Freitag bis Sonntag«, drängte Willy. »Dann haben wir ein paar Stunden an Land.«
Tomme versuchte, Zeit zu schinden.
»Ich muß erst mal zu Hause fragen. Die sagen vermutlich nein.«
»Sag, daß du mit Bjørn und ein paar Kumpels fährst.«
»Sie erfahren bestimmt, daß das nicht stimmt«, sagte Tomme.
»Bjørn deckt dich«, meinte Willy. »Wenn er nur weiß, was er sagen soll. Du bist doch mündig, zum Henker. Mußt du für jeden Dreck um Erlaubnis fragen?«
»Ich wohne doch da. In ihrem Haus.«
Er machte eine verlegene Kopfbewegung, als er die Verhältnisse zu Hause erwähnte. Und dabei fiel ihm ein, daß Willy älter war. Wenn ich erst zweiundzwanzig bin, dachte Tomme, dann wohne ich garantiert nicht mehr zu Hause.
»Ich buche die Kabine«, sagte Willy. »Wir nehmen eine billige unten im Schiff.«
Tomme kam sich vor wie auf den Leim gegangen. Er wollte sich losreißen, war aber an Willy gebunden. Abends bat er seine Mutter um die Erlaubnis,
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