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Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Sekunden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Wache. Das Telefon klingelte, sowie er sich an seinem Schreibtisch niederließ.
    »Das Nachthemd für die Zehnjährige wurde am 29. August gekauft«, teilte ihm die Frau mit. »Und diese andere, die ältere Dame, war am 7. September hier.«
    »Haben Sie vielen herzlichen Dank«, sagte Skarre.
     
    Sejers Anrufbeantworter hatte soeben folgende Mitteilung ablaufen lassen:
    »Hallo. Hier ist Sara. Wo treibst du dich eigentlich immer rum? Du fehlst mir. Nicht die ganze Zeit, nicht jede Stunde am Tag, aber ab und zu. Vor allem gleich vor dem Einschlafen. Und vor allem, wenn ich ein bißchen Rotwein getrunken habe, und das habe ich jeden Abend. Ich habe im Net die Zeitungen gelesen. Die Sache mit Ida mußt du klären. Laß den Typen ja nicht entkommen. New York ist toll, aber nervig. Mach’s gut.«
    Er setzte sich mit einem Glas ans Fenster. Er hatte sich die Mitteilung zweimal angehört, und um seinen Mund lag ein seltsames Lächeln. Der Hund ruhte zu seinen Füßen. Im Hintergrund hörte er Tracy Chapmans tiefe Stimme. »Baby, can I hold you tonight.« An der Wand hing das Bild seiner verstorbenen Frau Elise. Er schaute hoch und ließ sie an sich heran, ließ alles an sich heran, was er sonst immer zurückdrängte. Zu trauern half jetzt nicht mehr, es machte ihn nur müde.
    »Schön bist du auch«, murmelte er und trank einen Schluck Whisky. Seine Augen ruhten auf ihrem Gesicht. »Und du hältst dich gut«, fügte er hinzu. »Du hältst dich besser als ich.«
    Er stellte das Glas beiseite und griff nach der Packung Tidemanns Nr. 3, milde Sorte. Drehte sich eine dicke Zigarette. Es gefiel ihm, mit zwei Fingern Tabak zu fassen, den zu zerzupfen, er spürte, wie die dünnen Fäden aneinanderhingen, wie sie sich lösten, so daß er sie in eine Rinne im Papier legen konnte, um danach mit Fingerspitzengefühl zu drehen, eine dicke Zigarette mit maximalem Durchzug. Er gab sich Feuer und machte einen Lungenzug. Während er Tracy Chapman zuhörte. Er war müde und hätte sofort einschlafen können, aber er fühlte sich zu wohl in seinem Sessel. Eine Frau, überlegte er, dann versuchte er, eine lange Gedankenkette zu entwickeln. Vielleicht hatte also eine ältere Frau das Nachthemd gekauft. Wollte sie jemanden decken? Eine Frau hätte die Decke flicken können. Warum diese sorgfältige Verpackung? Schön geblümte Decke. Nagelneues Nachthemd. Fünfhundertneunzig Kronen, hatte Skarre gesagt. Das mußte bedeuten, daß der Mensch, der an ihrem Tod schuld gewesen war, ein verantwortungsbewußter Mensch war. Der auf Helga Joners Gefühle Rücksicht nahm. Damit die endlich Ida in ein Grab legen und ihren Sarg mit Kuscheltieren füllen konnte. Hatte sie so gedacht? Oder er? Oder beide?
    Vom zwölften Stock schaute er hinaus auf die Stadt. So hoch zu wohnen vermittelte ihm das Gefühl, den Überblick zu haben. Und die Kontrolle, das gab er zu. Er war immer gern von der Wache über die Landesstraße 76 und den Hang hochgefahren, um dann die zwölf Stockwerke hinter sich zu bringen und den Gipfel dieses steinernen Turms zu erreichen, der sein Zuhause bildete. Hatte immer gern auf die Menschen hinuntergeschaut. Aber manchmal, so wie jetzt, fühlte er sich dabei auch einsam. Er dachte an sein Elternhaus im Gamle Møllevej bei Roskilde, wo er am Wohnzimmerfenster gesessen und auf einen Baum hinausgeschaut hatte. Wo er ganz in Bodennähe gewesen war.
    Er rauchte fertig und erhob sich. Brachte das Glas in die Küche. Spülte es unter dem Hahn sorgfältig ab. Der Hund kam mühsam auf die Beine und schleppte sich mit größter Selbstverständlichkeit ins Schlafzimmer, wo er sich auf einer Matte neben dem Bett niederließ. Sejer schaltete alle Lampen aus. Fuhr mit dem Finger über Elises Bild, kehrte ihm den Rücken zu und ging ins Badezimmer. Er warf sich kaltes Wasser ins Gesicht und putzte sich ausgiebig die Zähne. Mit der altmodischen Zahnbürste, obwohl der Stecker der elektrischen in der Steckdose saß. Seine Tochter Ingrid hatte ihm diese elektrische Zahnbürste geschenkt, aber er benutzte sie nie. Er traute sich nicht, das zuzugeben. Er öffnete sein Schlafzimmerfenster. Der Wecker war auf sechs Uhr gestellt. Er knipste die Nachttischlampe aus und schloß die Augen. In seinem Block gab es zweiundfünfzig Wohnungen, in denen über hundertfünfzig Menschen wohnten. Aber es war rein gar nichts zu hören.
    *

T OMME NAHM DEN Hörer nicht ab, als Willys Nummer im Display auftauchte. Dauernd kamen Nachrichten von Willy. Allmählich machte ihn

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