Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
war ihm deutlich anzusehen, daß es neu war. Es war weiß, von dicker Baumwollqualität, mit einem roten Bändchen am Hals. Unten am Saum und an den Ärmeln saß ein bescheidener Spitzenbesatz. Das war alles. Auf der Innenseite teilte ein Aufnäher mit, es sei für die Altersgruppe von vierzehn Jahren bestimmt. Ida hatte es fast bis zu den Zehen gereicht.
»Kennen Sie dieses Nachthemd?« fragte er und breitete es auf dem Tresen behutsam aus.
Die Verkäuferin antwortete sofort.
»Ja. Natürlich kenne ich es.« Sie nickte, und Skarre konnte ihrem Gesicht ansehen, daß sie sich ihrer Sache sicher war. »Solche hatten wir auch. Wir hatten vier Stück, von Größe 10 bis 16. Ich habe noch eins übrig, das größte«, sagte sie.
Skarre nickte zufrieden.
»Es kann also hier gekauft worden sein?«
Die Verkäuferin zeigte ihre Neugier jetzt offen, wollte aber korrekt sein, deshalb konzentrierte sie sich auf seine Fragen.
»Das schon. Aber es kann auch aus einem anderen Geschäft stammen. Es ist Marke Calida. Merzerisierte Baumwolle«, sagte sie mit Kennerinnenmiene. »Die machen wirklich schöne Sachen, bei Calida.«
»Ich war schon in den vier anderen Unterwäschesalons hier in der Stadt«, erklärte Skarre. »Aber die führen dieses Modell nicht.«
Er fuhr mit der Hand über das Nachthemd.
»Und Sie haben sicher noch andere Angestellte hier«, sagte er dann. »Aber können Sie sich persönlich daran erinnern, so ein Hemd verkauft zu haben, und wenn ja, an wen?«
Sie überlegte. »Wir sind nur zu zweit. Ich arbeite jeden Tag von zehn bis vier. Und dann habe ich samstags eine jüngere Dame hier. Ich habe jedenfalls zwei der Hemden verkauft. Mal überlegen. Das eine an einen Mann von vielleicht Mitte Dreißig. Es sollte ein Geburtstagsgeschenk sein«, fiel ihr jetzt ein. »Ich mußte es einpacken. Und eine ältere Dame hat das andere genommen. Sie war schon einige Male hier, deshalb habe ich sie erkannt. Sie ist bestimmt Großmutter. Ich meine, dem Alter nach zu urteilen. Sie hat Größe 14 gekauft, glaube ich, es könnte also dieses Hemd hier gewesen ein.« Wieder betrachtete sie das Nachthemd. »Sie war sehr unsicher, was die Größe anging. Hat sich nicht weiter umgesehen, hat einfach das erstbeste genommen, und ich brauchte es auch nicht einzupacken. Sicher war es nicht als Geschenk gedacht.«
Jetzt war Skarres Neugier geweckt.
»Wissen Sie noch, wie diese Dame aussah?« fragte er.
»Ich schätze sie so auf Anfang Siebzig. Gut gekleidet. Nicht gerade gesprächig.«
»Wie war sie angezogen? Wissen Sie das noch?«
»Mantel. Dunkler, anonymer Mantel, Sie wissen schon, so einer mit Persianerkragen. Sie hat bar bezahlt.«
So ein Mist, dachte Skarre.
»Es hat fünfhundertneunzig Kronen gekostet«, sagte die Verkäuferin. »Aber sie wollte keine Quittung. Das fand ich auch seltsam. Ich habe ihr erklärt, die brauche sie für einen eventuellen Umtausch, aber sie sagte, ein Umtausch komme nicht in Frage. Sie wollte nicht einmal die Verpackung mitnehmen. Sie sagte, das sei zuviel Abfall. Und ich kann mich an ihr Portemonnaie erinnern. Es war aus Krokodilleder.«
»Können Sie feststellen, wann das war?« fragte Skarre, dessen Spannung immer weiter wuchs.
»Ich kann die Quittungen durchsehen. Aber das dauert seine Zeit.«
»Sie sagen, Sie haben diese Frau schon früher gesehen?«
»Sie war einige Male hier und hat Strümpfe und Unterwäsche gekauft. Normalerweise ist sie ziemlich gesprächig.«
»Sie könnten sich also vielleicht an ihr Gesicht erinnern? Wenn wir Sie darum bäten?«
»Aber sicher«, sagte sie voller Überzeugung. »Das glaube ich schon.«
Skarre lächelte zufrieden. Es war möglich, das Interesse dieser Frau zu wecken, sie dazu zu bringen, daß sie sich an vieles erinnerte, wenn man ihr nur Zeit ließ. Aber er kannte auch den grenzenlosen Eifer der Menschen, wenn es darum ging, mit Informationen zu Diensten zu sein. Dabei konnten zu viele Fehler entstehen, die sie dann in die Irre führten. Deshalb wechselte er an dieser Stelle das Thema.
»Sie haben noch ein Hemd verkauft. Oder war das vielleicht die Samstagsvertretung? Wie kann ich die erreichen?«
Skarre erhielt eine Nummer, die er anrufen konnte. Er faltete das Nachthemd zusammen und wollte gehen.
»Danke für Ihre Hilfe«, sagte er lächelnd. »Ich melde mich vielleicht noch einmal. Würden Sie diese Nummer anrufen, wenn Sie das Verkaufsdatum festgestellt haben?«
Er reichte ihr seine Karte. Dann ging er durch die Fußgängerzone zur
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