Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
nickte.
»Ich wollte gerade gehen«, sagte er und schaute demonstrativ auf seine Armbanduhr.
Angesichts dieser Eile stutzte Sejer. Dem Jungen schien der Boden unter den Füßen zu brennen.
»Warte noch zwei Minuten«, bat er impulsiv. »Du hast Ida doch gut gekannt.«
Ja, dachte Tomme. Ich bin ihr Vetter. Sie haben es immer auf Onkel und Vettern abgesehen. Er ging rückwärts ins Haus. Sejer folgte.
»Das mit deiner Kusine tut mir schrecklich leid«, sagte er. Sie befanden sich im Wohnzimmer. Tomme kam nicht auf die Idee, ihm einen Sessel anzubieten. Deshalb blieben sie stehen und sahen einander an.
»Ja«, sagte Tomme und trat ans Fenster. Er hielt Ausschau nach dem Volvo. Wenn die doch endlich kommen und ihn aus dieser Klemme retten könnten. Er hatte keine Worte, wenn es um Ida und um alles ging, was geschehen war.
»Ich möchte dich etwas fragen«, sagte jetzt Sejer. »Es geht um diesen Autounfall.«
Als er den Wagen erwähnte, wurde Tomme noch nervöser. Das merkte Sejer. Er wußte selbst nicht, worauf er hinauswollte. Vermutlich war Tomme im Suff gefahren. Sicher war er deshalb so blaß.
»Du hast dir eine Beule eingefangen«, sagte Sejer. »Und zwar im Kreisverkehr vor der Autobahnbrücke. Am 1. September. Dem Tag, an dem Ida verschwunden ist.«
»Ja?« fragte Tomme.
»Dein Wagen hat also diese Beule und allerlei Kratzer abbekommen. Und einer von unseren Leuten hat genau an dieser Stelle der Brücke Lackreste gefunden, die von deinem Auto stammen können.«
Tomme hatte ihm die ganze Zeit den Rücken zugekehrt. Jetzt drehte er sich um.
»Mit anderen Worten besteht Grund zu der Annahme, daß das alles genauso passiert ist, wie du es beschrieben hast«, sagte Sejer. »Ich wüßte es aber trotzdem gern ein wenig ausführlicher. Was genau ist geschehen? Du sagst, ein anderes Auto habe dich nach rechts abgedrängt?«
Tomme nickte. »So ein Typ ist gleichzeitig mit mir auf den Kreisel gefahren. Aber er war auf der falschen Spur und ist viel zu schnell gefahren. Ich hatte die Wahl, ihn nach links zu drängen oder nach rechts auszuscheren und die Leitplanke zu treffen.«
»Aber du hast keine Anzeige erstattet und den Schaden nicht gemeldet.«
»Er ist doch gleich weitergefahren«, sagte Tomme. »Das hätte nichts gebracht.«
»Er ist also abgehauen?« fragte Sejer. »Was war das für ein Auto?«
Tomme überlegte. »Ja, was war das noch? Ein dunkelblauer Wagen, ziemlich groß. Vielleicht ein Audi oder BMW.«
»Warum ist er weitergefahren, was glaubst du?«
»Weiß nicht. Vielleicht hatte er getrunken.«
»Hattest du getrunken?«
»Nein, nein! Ich fahre nie im Suff.«
»Hat er dein Auto überhaupt gestreift?«
»Nein.«
»Hast du versucht, ihn ausfindig zu machen?«
»Wie hätte das wohl gehen sollen?«
»Was ist mit Zeugen, Tomme? Irgendwer muß das doch gesehen haben.«
»Das nehme ich an.«
»Aber niemand hat angehalten?«
»Nein.«
Sejer wartete, bis Schweigen sich über das Zimmer gesenkt hatte. Er sah Tomme unverwandt an.
»Fährst du oft so spät abends durch die Gegend, so ohne Ziel und Zweck?«
»Ziel und Zweck?« fragte Tomme unsicher.
»Du siehst nervös aus, Tomme«, sagte Sejer. »Das macht mich neugierig.«
»Ich bin nicht nervös«, wehrte Tomme eilig ab.
»Doch«, sagte Sejer. »Du bist bleich und nervös. Aber dazu hast du keinen Grund, falls die Sache einfach die ist, daß ein anderer sich im Kreisverkehr falsch eingeordnet und dich zur Seite gedrängt hat, um sich dann durch Flucht seiner Verantwortung zu entziehen. Du müßtest wütend sein!«
»Bin ich auch!« rief Tomme.
»Absolut nicht«, sagte Sejer. »Du bist verzweifelt.«
»Der Opel ist längst repariert«, sagte Tomme plötzlich. »Er ist so gut wie neu.«
»Das habt ihr also tatsächlich geschafft«, sagte Sejer. »Direkt vom Kreisverkehr zu Willys Garage«, er lächelte. »Er hat dir einfach so geholfen?«
»Ja.« Tomme nickte.
»Das würde ich einen wirklich guten Freund nennen«, sagte Sejer langsam.
Tomme wurde unsicher. Seine Aussage, die hörte sich so vage an. So wenig glaubwürdig. Er hatte sich das alles nicht gut genug überlegt, und jetzt wirkte es ziemlich unwahrscheinlich.
»Wie spät war es genau, als das passiert ist?« fragte Sejer geduldig.
Wie spät? Tomme dachte nach, bis er Sterne vor den Augen sah. Er wußte genau, wann es passiert war. Kurz vor Mitternacht. Es war dunkel gewesen. Konnte er das sagen, um zwölf? Es stimmte doch. Aber wie würde dann der nächste Zug des
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