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Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Sekunden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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liebsten die Zunge abgebissen hätte. Sejer ließ sich nichts anmerken. Daß sie einen Sohn hatte, bedeutete im Grunde nichts. Aber sie zuckte zusammen, nachdem sie das gesagt hatte. Als könne die Erwähnung dieses Sohnes ihn auf ganz neue Gedanken bringen. Schweigend verließ er die grüne Küche. Er wollte sie nicht nach dem Namen des Sohnes fragen, um ihr keine Angst einzujagen. Es war ja kein Problem, das selbst festzustellen. Sie brachte ihn zur Treppe.
    »Noch etwas«, fiel ihm jetzt ein. »Haben Sie einen dunklen Mantel?«
    Elsa Mork lächelte wieder ihr ironisches Lächeln.
    »Den haben alle Frauen über siebzig«, sagte sie.
    »Mit Persianerkragen?« fragte er.
    Sie trat in der offenen Tür von einem Fuß auf den anderen. »Er hat so eine Art Pelzkragen«, murmelte sie. »Aber was das für eine Sorte ist, das weiß ich nun wirklich nicht. Er ist alt, dieser Mantel.«
    Er nickte verständnisvoll.
    »Aber ich begreife nicht, warum Sie hergekommen sind«, sagte sie, ihre Verwirrung mußte heraus, sie konnte sich nicht beherrschen.
    »Weil Sie Ähnlichkeit mit der Zeichnung haben«, sagte er.
    »Aber Sie kennen mich doch gar nicht. Jemand muß angerufen haben!« Das Letzte war ein empörter Ruf.
    »Ja«, sagte er. »Jemand hat angerufen. Und jetzt gehe ich zum Nächsten auf meiner Liste. Zur Nächsten, meine ich. So mache ich das. Gehe von Tür zu Tür.«
    Er legte die wenigen Schritte zum Auto zurück und warf einen letzten Blick auf sie.
    »Haben Sie vielen Dank für Ihre Hilfe«, sagte er und machte noch eine Verbeugung. Ihre Augen waren ein wenig unsicher. Ihr ging auf, daß alles zu Ende war. Sie konnte ganz einfach in ihre Küche zurückkehren. Dort konnte sie sich ans Fenster setzen und warten. Sejer saß hinter dem Lenkrad. Er öffnete die Zeitung ein weiteres Mal und schaute sich die Zeichnung an. Er wußte, daß die Frau hinter dem Vorhang stand und zu ihm herüberstarrte.
    *

E MIL J OHANNES HATTE einen rauhen Hals. Er hatte so lange am Wasserfall gestanden und gegrunzt. Das Gebrüll der Wassermassen, das er brauchte, um das zu wagen, machte es zugleich schwer zu hören, ob es ihm gelang. Ob er einzelne Wörter formen konnte, ob er ein O oder ein A schaffte. Jetzt war er wieder zu Hause. Er trat vor den Badezimmerspiegel und machte einen Schmollmund. Dort gab es keinen Wasserfall, aber er drehte den Wasserhahn auf und beugte sich zum Spiegel vor. Wie sollte er alles erklären? Plötzlich hatte er soviel zu sagen. Er hatte nie zu reden brauchen, hatte sich niemals erklären müssen. Aber was für eine Vorstellung, rufend am Wasserfall zu stehen, überlegte er, und dabei lief er rot an. Was für eine Albernheit für einen erwachsenen Mann. Mißmutig starrte er ins Waschbecken, wo das Wasser das Porzellan braun gefärbt hatte. Die Leitungen waren verrostet, aber für neue Kupferrohre reichte seine Rente nicht. Es war ihm auch egal. Nur seine Mutter ärgerte sich. Sie sammelte seine Wäsche und wusch sie in ihrer eigenen Maschine. Sonst hast du nach wenigen Wochen teefarbene Bettwäsche, schimpfte sie. Emil war es aber egal, wenn seine Bettwäsche nicht blütenweiß war. Er begriff nicht, warum solche Dinge wichtig sein sollten. Die Mutter schleppte Zitronensäure an, die er beim Spülen ins Wasser geben sollte. Dann wird das Wasser klar, sagte sie. Aber er kannte sich mit diesem Pulver nicht aus. Und er fand die Teller unverändert. Er starrte in den Spiegel. Das hatte er sonst nie gemacht, er wich sich lieber aus. Er schaute auch die Menschen nie richtig an, wenn er auf dem Motorrad unterwegs war oder wenn er zwischen den Regalen im Laden herumwanderte. Aber er sah gern fern. Beobachtete gern Leute, die das nicht bemerken konnten. Er konnte über sie lachen oder ihnen mit der Faust drohen, und sie konnten nichts dagegen tun. Manchmal schnitt er entsetzliche Grimassen, und es kam vor, daß er ihnen die Zunge herausstreckte. Aber sie steckten in dem Kasten, der das Fernsehen eben war, und konnten ihn nicht erreichen, sich nicht einmischen, Fragen stellen. Trotzdem leisteten sie ihm Gesellschaft. Er schaute viel fern. Politische Diskussionen. Eifrige Leute, die riefen und gestikulierten, die sich aufregten und deren Gesichter rot und heiß wurden, die auf den Tisch schlugen und wie streitende Kinder mit den Armen fuchtelten. Das gefiel ihm.
    Durch das Rauschen des Wasserhahns hörte er das Telefon. Er warf verärgert den Kopf in den Nacken und ließ es klingeln. Es klingelte achtmal, dann verstummte es.

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