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Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Sekunden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Er wußte aber, daß es gleich wieder losgehen würde. Daß es seine Mutter war. Daß sie nicht aufgab.
    Er drehte den Hahn zu und ging ins Wohnzimmer. Musterte feindselig das Telefon, das von der altmodischen Sorte war, mit runder Wählscheibe. Der Vogel trippelte sofort über sein Stöckchen und legte den Kopf schräg. Vielleicht würde zwischen den Gitterstäben ja etwas Eßbares auftauchen. Emil fühlte sich hin- und hergerissen zwischen zwei Bedürfnissen. Daß die Mutter ihn in Ruhe ließ und wegblieb. Zugleich wußte er, daß er sie brauchte. Manchmal passierten Dinge, mit denen er nicht fertig wurde. Einmal war ihm der Strom abgestellt worden. Er hatte abends kein Licht gehabt, kein Fernsehen. Trotzdem hatte er den ganzen Abend vor dem Bildschirm gesessen und im Glas seine Silhouette betrachtet. Ein wirklich langweiliger Abend, hatte Emil gefunden. Die Mutter mußte beim Elektrizitätswerk anrufen und alles erklären. Er fand es gut, wenn die Mutter redete, sie sorgte für Ordnung und dafür, daß es keine Probleme gab. Wieder klingelte das Telefon. Er wartete lange. Instinktiv kehrte er dem Telefon den Rücken zu, als er den Hörer von der Gabel nahm. Es war eine Zurückweisung, die sie nicht sehen konnte.
    »Emil!« hörte er ihre überaus angespannte Stimme sagen. »Hast du heute die Zeitung gelesen?«
    Emil schaute hinüber ins Wohnzimmer, wo die Tageszeitung unangerührt auf dem Tisch lag.
    »Nein«, sagte er ehrlich.
    Am anderen Ende der Leitung war alles still. Das kam nicht oft vor, ging es Emil auf. Jetzt wurde er ungeheuer neugierig. Außerdem hatte er Angst. Die Stimme seiner Mutter kam ihm bedrohlich vor, während sie sonst immer so obenauf zu sein schien.
    »Nein, laß sie nur liegen. Es ist fast nicht auszuhalten«, jammerte sie, und Emil hörte, wie kraftlos ihre Stimme klang. Zum ersten Mal merkte er, daß seine Mutter Angst hatte. Das hatte er fast noch nie erlebt. Als Erwachsener jedenfalls nicht mehr.
    »Die Polizei war hier«, flüsterte sie. »Waren sie auch bei dir?«
    Entsetzt schüttelte er den Kopf. Zugleich schaute er aus dem Fenster. Dort war nichts zu sehen.
    »Nein«, sagte er.
    »Ich habe Angst, daß sie bei dir auftauchen«, sagte sie. »Wenn sie bei dir klopfen, darfst du sie nicht reinlassen.«
    »Nein«, sagte er.
    »Wenn sie dich auf der Straße anhalten, mußt du einfach den Kopf schütteln und weiterfahren. Sei einfach du selbst«, flehte sie ihn an. »Versuch nicht, etwas zu erklären, das klappt ja doch nicht. Das beste ist also, du hältst weiterhin den Mund. Sie geben bestimmt bald auf, wenn sie begreifen, was los ist. Du kannst in den Himmel starren oder den Boden anglotzen, aber laß sie ja nicht ins Haus. Und auf keinen Fall darfst du irgend etwas unterschreiben oder so.«
    »Nein«, sagte er.
    »Wenn sie auftauchen, mußt du mich anrufen. Es ist vielleicht das beste, ich komme sofort. Sie waren eben hier. Wenn ich bei dir bin, während sie auftauchen, kann ich für dich reden. Du schaffst das nicht allein, das wissen wir doch beide, wir müssen sie uns so gut wie möglich vom Leib halten. Und diesmal tust du, was ich dir sage, Emil. Ich verlasse mich darauf, daß du den Ernst der Lage begreifst. Ich weiß nicht, wieviel Rücksicht sie nehmen, aber ich gehe nicht unbedingt davon aus, daß du leichter davonkommst als andere.«
    Ihre Stimme schien zu versagen. Emil bohrte den Fingernagel in einen Riß im Telefontisch. Doch, er kam immer leichter davon. Er schwieg einfach. Und dann gaben die anderen sich geschlagen. Sie gaben sich immer geschlagen, denn sie waren nicht geduldig genug.
    »Herrgott«, hörte er seine Mutter sagen. »Diesmal weiß ich fast nicht weiter. Gut, ich bin stark, aber jetzt merke ich, wie es auch an meinen Kräften zehrt. Was soll nur aus dir werden, Emil?«
    Er hörte ihren angestrengten Atem. Emil hatte das Gequengel und Gejammer seiner Mutter oft satt, aber das, was er jetzt hörte, war schlimmer denn je.
    »Hast du dir mal überlegt, was mir passieren kann, wenn ich mich solchen Dingen aussetze?« fragte sie. »Ich bin dreiundsiebzig, Emil! Ist dir das überhaupt klar?«
    »Nein«, sagte er. Wenn er ehrlich sein sollte, dann hatte er keine Ahnung, wie alt sie war. Sie war immer dieselbe gewesen, fand er. Er wollte, daß sie jetzt auflegte. Daß alles still war.
    »Also«, sagte seine Mutter und seufzte tief. »Mit niemandem reden. Und nichts unterschreiben. Das ist doch klar? Du machst mir doch keine Scherereien?«
    »Nein«, sagte er.
    Er

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