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Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Sekunden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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mich darauf verlassen, daß er die Wahrheit sagt. Von jetzt an, dachte sie.
    Aufgemuntert durch diese Entscheidung ging sie dem Abend entgegen. Sie dachte: Jetzt fängt das Leben wieder an. Ida ist begraben. Die Polizei wird den Schuldigen finden. Sie beruhigte sich. Kochte Kaffee und legte einige Waffelherzchen in die Mikrowelle. Rief Marion.
    »Komm«, sagte sie. »Dann sehen wir uns die Nachrichten an.«
    Sie saßen dicht nebeneinander auf dem Sofa. Ruth legte einen Arm um Marions Schulter. Wieder wurde das Bild des weißen Nachthemds gezeigt.
    »Das Nachthemd ist so schön«, sagte Marion.
    »Mm«, sagte Ruth leise. »Es muß ein seltsames Gefühl für Helga sein, das im Fernsehen zu sehen.«
    »Warum haben sie das wohl gemacht?« fragte die Tochter und sah die Mutter an.
    »Was denn? Sie umgebracht, meinst du?«
    »Nein. Warum haben sie ihr das Nachthemd angezogen?«
    »Warum sagst du ›sie‹?« fragte Ruth.
    »Keine Ahnung«, sagte Marion ernst. »Das hab ich mir nicht weiter überlegt.«
    »Alles läßt sich zurückverfolgen«, sagte Ruth nachdenklich. »Sie können alles über das Nachthemd feststellen. In dieser Hinsicht ist das Leben seltsam. Fast nichts kann man verbergen. Die Wahrheit kommt immer ans Licht. Es dauert nur ein wenig.«
    Sie streichelte die runde Wange ihrer Tochter.
    »Hast du Angst?« fragte sie.
    »Nein«, sagte Marion.
    »Ich meine, wenn du die Straße entlanggehst und ein Auto kommt?«
    »Das tu ich doch fast nie mehr«, erinnerte Marion ihre Mutter.
    »Nein«, sagte Ruth. »Stimmt. Ich wollte nicht herumnerven. Das geht schon wieder vorbei.«
    »Ja.«
    Marion bestrich ihre Waffel mit Marmelade. Tomme tauchte auf und setzte sich in einen Sessel. Das kam nicht oft vor. Ruth freute sich darüber. Alles war so friedlich. Sein dunkler Schopf beugte sich über eine Zeitschrift. Marion aß sich an Waffeln satt und machte sich dann an ihre Hausaufgaben. Sverre war wieder auf Dienstreise, diesmal nach London.
    Dann klingelte das Telefon. Tomme schien nicht hingehen zu wollen. Also erhob Ruth sich. Überrascht lauschte sie der Stimme am anderen Ende der Leitung. Es handelte sich um eine Frau. Sie stellte sich als Anne Oterhals vor, und Ruth begriff, daß sie es mit Willys Mutter zu tun hatte. Fragend schaute sie ihren Sohn an, denn sie wollte ihren Ohren nicht trauen. Für einen Moment wurde ihr schwindlig. Denn sie sah, daß Tomme schreckliche Angst vor dem hatte, was jetzt geschah, sie konnte seinen blanken Augen ansehen, daß in diesem dunklen Kopf etwas ganz Unmögliches vor sich ging. Er starrte in seine Zeitschrift, las aber nicht.
    »Tomme?« fragte Ruth zögernd. »Weißt du, wo Willy ist?«
    Er schaute sie aus blauen, glasigen Augen an.
    »Willy? Bei einem Kumpel, glaube ich.« Für Ruths Ohren klang seine Stimme ganz dünn. Er hielt ihrem Blick zwei Sekunden lang stand, dann vertiefte er sich wieder in seine Zeitschrift. Es war die Illustrierte Wissenschaft . Tomme starrte das Bild eines ägyptischen Gottes an, Anubis. Er fand, der habe Ähnlichkeit mit Willy. Das magere Gesicht mit dem vorspringenden Kinn. Wie ein Hund. Er hörte wieder das Ticken. Er glaubte, auch seine Mutter könne es hören, und seine Schwester am Eßtisch. Es füllte das ganze Zimmer, es bohrte sich wie kleine Stiche in seine Gehörgänge.
    Die Mutter stand noch immer lauschend am Telefon. Sie begriff gar nichts.
    »Ich verstehe gar nichts«, sagte Ruth ins Telefon. »Tomme war mit Bjørn in Kopenhagen, Bjørn Myhre.«
    Wieder hörte sie zu. Ihr Gesicht ist so nackt, dachte Tomme, der jetzt verstohlen aufgeschaut hatte. Er wollte sie nicht so sehen. Marion beugte sich über ihre Bücher. Auch sie hörte zu. Die Stimmung im Wohnzimmer war einfach nicht richtig so, sie wagte fast nicht, zu atmen oder zu husten oder sich am Tisch zu bewegen. In ihrem Mathebuch gab es Bilder von Quadraten, Dreiecken und Kuben. Sie stellte sich vor, die bildeten ein eigenes Universum, in dem sie verschwinden könnte. Und das tat sie dann auch.
    »Also?« fragte Ruth am Telefon. Sie riß und zerrte an der Telefonschnur, und ihr Blick jagte umher. »Ja«, sagte sie. »Warten Sie einen Moment. Ich frag ihn mal eben…«
    Sie drückte den Hörer gegen ihre Brust und starrte ihren Sohn ungläubig an.
    »Das ist Willys Mutter«, sagte sie. »Er ist nicht nach Hause gekommen. Nach dem Abstecher nach Kopenhagen. Du hast doch gesagt, daß du mit Bjørn fahren wolltest. War Willy auch dabei? Was ist hier eigentlich los?« fauchte sie.
    »Ich

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