Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
nicht stimmte.
»Die Zeitungen haben vor einigen Tagen ein Bild dieses Nachthemds gebracht«, sagte Sejer nun. »Wir haben alle, die so eins gesehen oder gekauft haben, gebeten, sich zu melden. Zwei haben angerufen. Der Laden aber hat drei Stück verkauft«, erklärte er. »Und ich sitze hier, weil die Verkäuferin bei Olav G. Hanssen die Käuferin sehr genau beschrieben hat. Und es ist nun einmal so, daß Sie Ähnlichkeit mit ihr haben.«
Elsa Mork schwieg. Ihre Finger verflochten sich auf der Resopalplatte ineinander. Sie brachte kein Wort heraus.
»Haben Sie heute die Zeitungen gesehen?« fragte er freundlich. Er lächelte. Das ist nicht gefährlich, wollte er sagen. Ich glaube nicht, daß Sie an Idas Tod schuld sind.
»Ja«, sagte sie langsam. »Ich lese Zeitung.«
»Und die Zeichnung?« Er lächelte geduldig.
»Welche Zeichnung?« fragte sie abweisend. Jetzt wagte sie nicht, ihn anzusehen.
»Die Zeichnung einer Frau. Die Ähnlichkeit mit Ihnen hat, nicht wahr?«
Elsa schüttelte verständnislos den Kopf. »Sie hat überhaupt keine Ähnlichkeit«, erklärte sie entschieden.
»Sie haben sie also gesehen?« fragte er.
»Ich habe daran vorbeigeblättert«, sagte sie.
Sejer horchte auf Vogelgezwitscher. In der Wohnung war nichts zu hören. Vielleicht war eine Decke über den Käfig gelegt worden, er hatte gehört, daß Vögel dann verstummten, weil sie glaubten, es sei Nacht.
»Dieser Fall Ida Joner. Wissen Sie davon?«
Sie überlegte einige Sekunden, dann antwortete sie, weiterhin entschieden. »Wie gesagt, ich lese Zeitung«, sagte sie. »Aber solche Fälle, die überfliege ich höchstens. Ich finde diese vielen Einzelheiten so schrecklich. Darum lese ich nie über Verbrechen. Oder über Sport oder Kriege. Und da bleibt ja nicht viel«, fügte sie ironisch hinzu. »Fast nur das Fernsehprogramm.«
»Haben Sie einen Vogel?« fragte er nun.
Sie zuckte zusammen. »Nein«, sagte sie rasch. »Habe auch nie einen gehabt. Was sollte ich damit?«
»Viele haben einen Vogel im Käfig«, sagte er. »Ich frage, weil das für den Fall von Bedeutung ist.«
»Ach so«, sagte sie. Sie saß in sich zusammengesunken am Tisch und starrte demonstrativ aus dem Fenster.
»Nein, ich habe keinen Vogel im Haus. Aber sehen Sie sich nur selbst um. Ich will keinen Vogel«, fügte sie hinzu. »Die machen soviel Dreck, überall Federn und Körner, nein danke, sage ich da.«
Sejer dachte über diese Worte nach. Überall Federn und Körner. Sie schien genau zu wissen, was es bedeutete, einen Vogel zu haben. Hatte sie sich des ihren vielleicht schon entledigt?
»Kennen Sie vielleicht andere, die Vögel haben?«
»Nein«, sagte sie rasch. »Menschen in meinem Alter haben keine Tiere mehr, jedenfalls nicht solche. Eine Freundin von mir hat eine Katze. In ihrem ganzen Haus stinkt es danach. Sie fühlt sich dann vielleicht nicht allein, aber ich brauche so was nicht. Ich starre nicht den ganzen Tag aus dem Fenster, wie so viele alte Menschen.«
»Das ist gut«, sagte er anerkennend.
Er faltete das Nachthemd zusammen, machte das aber ganz bewußt sehr langsam. Sie musterte das Hemd verstohlen, schräg von der Seite.
»Sie kennen dieses Nachthemd also nicht?« fragte er noch einmal.
»Absolut nicht«, behauptete sie. »Was sollte ich denn damit?«
»Sie hätten es für jemand anderen kaufen können«, schlug er vor.
Sie gab keine Antwort, sondern gab sich alle Mühe, unbeweglich am Tisch sitzen zu bleiben, als könne eine Bewegung sie entlarven.
»Aber es ist schön, nicht wahr?« fragte Sejer lächelnd und steckte es in die Tüte. Dann verknotete er die beiden Tragegriffe.
»Wir können feststellen, daß es von einer Person mit Sinn für Schönheit und Qualität gekauft worden ist. Das sagen die Kolleginnen auf der Wache«, sagte er und lächelte wieder.
»Ganz bestimmt«, sagte sie rasch.
»Teuer war es auch. Fast vierhundert Kronen«, log Sejer.
»Ach«, sagte Elsa Mork. »Ich hätte eigentlich auf noch mehr getippt.«
Sejer erhob sich.
»Sie müssen schon verzeihen«, sagte er. »Daß ich Sie so einfach störe. Ich weiß ja, daß Sie keine Kinder in dem Alter haben. Das hier ist für eine Vierzehnjährige. Aber es hätte natürlich für ein Enkelkind sein können. Ich selbst habe einen elfjährigen Enkel«, fügte er hinzu.
Sie entspannte sich ein wenig und lächelte.
»Ich habe zwar einen Sohn, aber der ist über fünfzig«, sagte sie. »Und Kinder kriegt der sicher nie.«
Und dann sah sie aus, als ob sie sich am
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