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Schwarze Stunde

Schwarze Stunde

Titel: Schwarze Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Feher
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Küche aufräumen, kommt es nicht gleich wieder in Gang. Wir müssen raus hier, vielleicht redet es sich da leichter.
    Wir nehmen die Fahrräder, Alena ist ohnehin mit ihrem unterwegs. Ohne Eile gondeln wir dicht nebeneinander auf dem Gehsteig entlang, jetzt am frühen Nachmittag stören wir damit niemanden, solange wir in den Nebenstraßen bleiben. Zum Gertrauden-Krankenhaus, wo Manuel liegt, sind es ungefähr vier Kilometer, Alena und ich kennen die Schleichwege, mit denen wir die Bundesallee und die ebenfalls stark befahrene Blissestraße meiden können. Nach zwei Dritteln der Strecke etwa biegen wir in den Volkspark Wilmersdorf ein und verlangsamen erneut unser Tempo, ab und zu legt sie beim Fahren ihre Hand auf meine Schulter, schwer und zu weich, zu verschwitzt. Ich sage ihr nicht, dass es mich innerlich schüttelt, mache mich aber immer wieder von ihr los, ich könnte schreien, weil genau das eingetreten ist, was ich so dringend vermeiden wollte. Kaum zwei Stunden bin ich wieder zu Hause, und schon fühle ich mich wie von Schlingpflanzen eingeschnürt, Alena mit ihrer Zudringlichkeit, Manuel, der einfordert, dass ich für ihn da bin, obwohl wir nicht einmal miteinander gesprochen haben, meine Mutter mit ihren Vorstellungen von meinem Leben. Ich blicke in die Wolken über mir, sehe einem Schwalbenpärchen nach, das sich hoch über die Baumkronen schwingt, so wie sie möchte ich auch abheben können, frei sein, unabhängig, selbstbestimmt leben können.
    Die Liegewiesen sind heute voller Menschen; voll auch von Liebespaaren, die eng aneinander geschmiegt im Gras liegen, zu träge von der Hitze dieses Sommertages, um mehr zu unternehmen, als gemeinsam in die dunkelgrünen Baumkronen zu schauen, nach einem langen Arbeitstag zu entspannen und das Beisammensein zu genießen. Während Alenas Hand erneut wie eine Last auf meiner Schulter liegt, ertappe ich mich dabei, wie ich den Rasen nach Corvin absuche, theoretisch könnte er hier sein, auch wenn die Wahrscheinlichkeit so klein ist wie die Einwohnerzahl Berlins groß. Ich weiß nicht einmal, wo er wohnt, nicht einmal den Bezirk, es kann ganz woanders sein als gerade hier, vielleicht sogar im Umland. In Pankow liegt nur sein Lieblingsclub, das ist das Einzige, was ich von ihm weiß.
    Von irgendwoher dringen sachte gezupfte Gitarrenklänge an mein Ohr, ich zucke zusammen und wende den Kopf in die Richtung; natürlich ist es nicht Corvin, sondern ein Mädchen in einem langen, indisch anmutenden Flatterrock, das ganz versunken einige klassische Stücke vor sich hin spielt. Ich steige ab und schiebe mein Fahrrad, um der Musik so lange wie möglich lauschen zu können. Alena löst sich endlich von mir und tut es mir gleich, ohne zu protestieren. Wir schweigen beide.
    Im Schatten einer hohen Kastanie finden wir eine leere Bank, lehnen unsere Räder an den Müllkorb daneben und setzen uns hin. Ich bin froh über die Pause, es drängt mich nicht, zu Manuel in die Klinik zu fahren, im Gegenteil: Es widerstrebt mir, weil es mich noch weiter von dem Traum entfernt, aus dem ich noch nicht ganz wieder aufgewacht bin. Schon jetzt befürchte ich, die Bilder könnten verblassen, der Klang von Corvins Stimme in mir verstummen.
    »Jetzt aber«, reißt mich Alena aus meinen Gedanken. »Ich will alles wissen. Wer ist dieser Typ, in den du dich so Hals über Kopf verknallt hast?«
    Unwillkürlich muss ich lächeln; dadurch, dass Alena von Corvin gesprochen hat, ist er wieder real geworden, mir nähergekommen, mehr als nur ein Traum. Es gibt ihn wirklich, noch vor wenigen Stunden waren wir zusammen. Nach kurzem Zögern versuche ich, meiner besten Freundin die Begegnung mit ihm genau zu schildern. Ihr nahezubringen, was mich an ihm berührt hat; die unsichtbare Nähe zwischen uns zu schildern. Versuche, Alena zu erreichen mit dem, was in mir vorgeht, spüre, wie schwierig es ist.
    »Hast du so was auch schon mal erlebt?«, frage ich sie, nachdem ich fertig bin. »Dieses Gefühl, dass du zu jemandem sofort einen ganz intensiven Draht hast?«
    Alena sieht an mir vorbei. »Ich dachte eigentlich, zwischen uns wäre das so. Zwischen dir und mir.«
    »Ich meine mit einem Jungen«, weiche ich aus. »Du erzählst mir jetzt nicht, dass du eifersüchtig bist, Alena.«
    Sie hebt ihre Schultern.
    »So ein Älterer passt nicht zu dir. An deiner Stelle würde ich da vorsichtig sein, wer weiß, was das für ein Perversling ist. Du kennst ihn doch überhaupt nicht.«
    »Jetzt komm mal runter«, entgegne

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