Schwarze Stunde
Schritt zur Seite, um sie nicht zu verdecken. Manuel muss begreifen, dass dies keine Begegnung unter vier Augen ist, selbst jetzt nicht, wo er ganz unten ist.
»Dir hätte das Konzert nicht gefallen«, antworte ich auf seine Frage. »War einfach nicht deine Musik, du kennst ja meinen seltsamen Geschmack. Geht’s dir besser?«
Manuel dreht sich auf den Rücken und starrt an die Decke.
»Geht so«, antwortet er knapp. »Außerdem interessiert es dich sowieso nicht, wie es mir geht.«
»Wer behauptet das denn?« Ich muss mich beherrschen, um nicht wütend zu werden. »Wäre ich sonst hier?«
Manuel stößt einen schnaubenden Laut aus. Es war ein Fehler herzukommen, er ist noch weit davon entfernt, mir zu verzeihen und unsere Trennung zu verarbeiten. Dass ich jetzt vor seinem Krankenbett stehe, wird nicht gerade zu seiner Genesung beitragen.
Alena nimmt eine Tüte mit Salzstangen und eine Tüte frischer Süßkirschen aus ihrer Stofftasche und legt sie auf seinen Nachttisch. Manuel scheint es nicht einmal zu bemerken.
»Wirst du bald entlassen?«, erkundigt sie sich.
»Wozu?«, gibt er zurück. »Ist doch egal, was mit mir ist. Nüchtern oder besoffen, krank oder gesund, lebendig oder tot. Wen interessiert das?«
»So darfst du nicht reden.« Alena spricht langsam, als wäre Manuel noch nicht wieder ganz wach. »Es geht immer irgendwie weiter, das weißt du.«
Manuel schweigt, den Blick noch immer unbeirrt auf mich gerichtet, lauernd. Er bleibt stur in seiner Verletztheit, er will leiden. Du bist schuld, egal was du hier laberst von wegen Freunde bleiben. Ich habe ein Musikkonzert genossen, während er meinetwegen im Krankenhaus liegt.
»Wir reden mal, wenn es dir besser geht«, schlage ich schließlich hilflos vor. »In der Schule sehen wir uns ja sowieso, von mir aus können wir gleich am Montag nach der letzten Stunde zusammen einen Kaffee trinken gehen. Hier bringt das nichts, du musst erst mal wieder fit werden.«
»Am Montag komme ich noch gar nicht.«
»Dann eben, wenn du nicht mehr krankgeschrieben bist. Das läuft uns nicht weg, Manuel. Wir nehmen uns die Zeit noch.« Noch einmal tippe ich mit dem Finger auf die Zeitschriften. »Lenk dich erst mal ab. Und wenn du was brauchst, helfe ich dir, versprochen.«
»Ich brauch keine Hilfe«, entgegnet er. »Schon gar nicht von dir. Und, hast du schon einen Neuen? In England schön mit einem gepoppt, so open air auf dem Rasen oder was?«
»Manuel«, versucht ihn Alena zu beschwichtigen. »Lass das doch, bitte.«
»Was soll das jetzt«, fauche ich. »Ich bin nicht hergekommen, um mich von dir beleidigen zu lassen, ehrlich. Dann gehe ich lieber.«
»Wenn ich den erwische, der mein Mädchen anfasst, der kann sich warm anziehen. Bei dem bleibt kein Knochen an seinem Platz, das schwöre ich. Und du kommst gleich danach dran, darauf kannst du Gift nehmen.«
»Du bist krank, Manuel. Ich bin nicht mehr dein Mädchen. So schon gar nicht.« Ich wende mich ab und steuere die Tür an, doch Manuel hat sich ruckartig im Bett aufgerichtet und packt mich am Handgelenk, beinahe stolpere ich.
»Warte«, sagt er und setzt sich jetzt ganz auf. »Es tut mir leid, ich habe es nicht so gemeint. Das hätte ich niemals sagen dürfen.«
»Allerdings.«
»Was bin ich für ein Idiot«, flucht er. »Wirklich, ich nehme es zurück, Valerie. Bitte entschuldige.«
Ich ziehe meinen Arm aus seinem Griff und trete einen Schritt nach hinten; was er da abgelassen hat, kann er nicht mehr zurücknehmen. Wer eine solche Drohung ausspricht, meint sie auch ernst. Ich hätte mich nie auf ihn einlassen dürfen.
Manuel greift ins Leere, dann plötzlich an seinen Kopf, es würgt ihn. Das kann alles nicht wahr sein, wo bin ich hier nur gelandet, es ist so unwirklich, was tut er hier bloß? Alena springt zu ihm und hält eine Nierenschale unter sein Kinn, viel kommt nicht, trotzdem wende ich mich ab. Im selben Moment wird die Zimmertür geöffnet und eine Krankenschwester nähert sich mit festem Schritt.
»Oh, Sie haben Damenbesuch«, bemerkt sie und nickt Alena und mir zu. »Allerdings scheint es nicht gerade der beste Augenblick zu sein, nicht wahr? Ich schlage vor, Sie vertagen Ihr Treffen. Noch braucht Manuel Ruhe.« Sie nimmt Alena die Schale aus der Hand und reicht Manuel ein feuchtes Tuch, mit dem er sich den Mund säubern kann, schüttelt seine Bettdecke auf, rückt sein Kissen zurecht, fühlt seinen Puls.
»Wir wollten sowieso gerade gehen«, beeile ich mich zu sagen. »Also, noch mal
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