Schwarze Stunde
als ich die Tür hinter uns schließe, die heiße Sommerluft weht herein. Im Zimmer ist es ein wenig kühler als draußen, es liegt im Schatten, das breite, hohe Fenster ist nach Nordwesten ausgerichtet. Manuel liegt mit dem Rücken zu uns, seine kurzen braunen Haare stehen in alle Richtungen, seine Schultern heben und senken sich gleichmäßig. Lautlos treten wir an sein Bett, Alena beugt sich über ihn, will Manuel an der Schulter berühren.
»Lass ihn«, flüstere ich. »Ist doch gut, wenn er schläft, dann geht es ihm schneller wieder besser. Wir können auch morgen wiederkommen.«
Corvin, denke ich; wenn du wüsstest. Was machst du gerade, ist jemand bei dir? Hat auch dich der Wahnsinn des Alltags schon längst wieder eingeholt?
Manuel bewegt sich unter der Bettdecke, er dreht sich von der Seite auf den Rücken, wendet uns sein Gesicht zu und schlägt die Augen auf. Unwillkürlich muss ich an unseren ersten gemeinsamen Abend denken, an seine Hände, die kaum von mir lassen konnten, seine gierigen Küsse, seinen Duft nach Duschgel und Haut. So anders als jetzt. Es ist so was von schiefgelaufen mit uns.
»Du hast ihn geweckt«, stoße ich zischend hervor und boxe Alena leicht gegen den Arm. »Musste das sein?« Etwas grober, als ich wollte, schiebe ich mich an ihr vorbei, Sorge um ihn steigt in mir auf, ich versuche in seinem Gesicht zu lesen, wie es ihm geht. Eine graue Blässe hat seine Haut überzogen, er wirkt erschöpft, die Lippen aufgesprungen, die blauen Augen trüb. Alena tritt wieder dichter heran, beugt sich vor, streicht ihm über den Arm und fragt ihn leise, wie es ihm geht, eine Zugangsnadel steckt noch in Manuels Handrücken, wenigstens hängt er nicht mehr am Tropf. Bestimmt hat er noch Kopfschmerzen.
»Geht schon«, antwortet er mit belegter Stimme, sieht dabei mich an statt Alena, bohrt seinen Blick in meinen, du trägst die Verantwortung, Valerie, ohne dich wäre das alles nicht passiert. Um irgendetwas zu tun, ziehe ich die beiden Zeitschriften, die ich für ihn gekauft habe, aus meiner Tasche und lege sie auf seine Bettdecke, er bedankt sich mit einem stummen, nur angedeuteten Nicken. Sein leerer Blick erschreckt mich, ich will irgendetwas tun, nach dem Becher auf seinem Nachttisch greifen, sicher ist Tee darin, Manuel muss Durst haben nach dem Schlafen in dieser Wärme, er braucht Flüssigkeit, um weiter zu entgiften. Tatsächlich richtet er sich ein wenig auf, stützt sich auf seinen Ellenbogen. Vorsichtig reiche ich ihm den Becher, doch er stößt meine Hand fort, ein wenig Flüssigkeit schwappt auf seine Bettdecke. Er blickt mir ins Gesicht, prüfend, kalt, verzweifelt, ausgelaugt. Dennoch wirkt er selbst im Krankenbett groß, immer noch muskulös. So einen Typen haut das bisschen Alkohol nicht um, nicht auf Dauer, seine Aktion war nicht mehr als ein Warnschuss, an mich gerichtet. Ein Vorwurf. Er wartet auf ein Wort von mir, auf eine Erklärung, einen Vorschlag, wie es nun weitergehen soll, fast wie ein Kind, das nach einem Donnerwetter von seiner Mutter hören will, alles sei wieder gut, nein, anders, zorniger. Wenn er könnte, würde er aufstehen und toben.
»Du hättest das nicht tun dürfen«, höre ich mich leise sagen, im Tonfall beschwichtigend, spüre plötzlich eine Enge im Hals, die mir beinahe den Atem nimmt. »Mach so was nie wieder, Manuel, hörst du? Dich selber so zu zerstören … Auch wenn wir nicht mehr zusammen sind, heißt das doch nicht, dass die Welt untergeht oder dein Leben keinen Sinn mehr hat. Wir können befreundet bleiben, ich mag dich ja trotz allem.«
Damit habe ich schon mehr gesagt, als ich wollte, doch Manuel geht nicht auf meine Worte ein.
»Wie war’s in London?«, fragt er stattdessen, die Stimme noch immer rau, als habe er lange mit niemandem mehr gesprochen, aber im Unterton schon wieder ein wenig geladen, als ahne er bereits, was mit mir los ist. Er will es hören und würde doch sofort ausflippen, wenn er es erführe, würde durchdrehen, mit Drohungen um sich werfen, die ihm später nicht einmal leid täten. Los, sag schon, fordern mich seine Augen auf. Du brauchst mir gar nichts zu verheimlichen. Aber ich werde nichts erzählen, nicht hier im Krankenhaus und schon gar nicht so. Am besten überhaupt nicht, ich bin nicht hergekommen, um mich verhören zu lassen. Ich wollte ihm zeigen, dass ich nicht aus der Welt bin, dass mich sein Kummer nicht kaltlässt. Mehr nicht.
Erst jetzt bemerke ich, dass er Alena kaum ansieht, und trete einen
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