Schwarze Stunde
gute Besserung. Bis bald.«
Die Luft dieses Sommerabends streicht sanft und mild über meine Haut, als ich wenig später wieder mit Alena auf die Straße trete. Alena bläst Luft aus ihren Backen. »Die Drohung war krass. Das hätte ich ihm nicht zugetraut.« Sie starrt an einen ungewissen Punkt in der Ferne, wie abwesend, dann jedoch wendet sie ihren Kopf ruckartig zu mir, tritt dicht vor mich hin, nimmt meine Hände in ihre, nach der Kühle des Krankenhauses kleben sie jetzt nicht mehr, sondern fühlen sich kalt an. Sie streicht an meinen Armen hinauf und hinunter, bemerkt nicht die Gänsehaut, die meinen ganzen Körper überzieht.
»Du musst vorsichtig sein, Valerie«, beschwört sie mich. »Versprich mir das.«
»Klar«, antworte ich und nicke. Aber auch ich habe das ungute Gefühl, dass das noch nicht alles gewesen ist.
6.
N ach dem Besuch bei Manuel merke ich, wie müde ich bin. Wir machen unsere Fahrräder vom Ständer los und radeln langsam zurück, nehmen nicht mehr den Umweg durch den Park, sondern fahren auf dem kürzesten Weg zurück nach Hause. Keine von uns redet viel, doch aus dem Augenwinkel bemerke ich, dass mich Alena immer wieder von der Seite mustert. Schwerer als vorhin fällt es mir, an Corvin zu denken; im Moment erscheint es mir, als wären bereits Wochen vergangen, seit ich ihn getroffen habe. Jetzt mit ihm reden können – der Gedanke lässt mich so laut aufseufzen, dass mich Alena verwundert ansieht. Ihm könnte ich sicher alles anvertrauen, vielleicht wüsste er, was ich tun soll. Oder einfach nur seine Nähe genießen, so wie im Flugzeug. Musik hören, an einem der vielen Berliner Seen spazieren gehen, irgendwo etwas trinken. Einfach entspannen, alles Düstere hinter mir lassen, wenn auch nur vorübergehend.
»Was machst du morgen?«, fragt Alena, als wir vor meiner Haustür angelangt sind. Mit ihrem Fahrrad versperrt sie mir den Zugang in den Hausflur. »Wollen wir uns treffen, vielleicht am Abend zusammen weggehen?«
Ich antworte nicht sofort. Eigentlich möchte ich allein sein, alles sacken lassen, meine Gedanken sortieren. Und schlafen. Nicht gleich eine neue Verabredung. Wenigstens macht Alena mir keine Vorhaltungen mehr, seit sie miterlebt hat, wie Manuel drauf ist.
»Ich kann nicht«, antworte ich.
»Wieso, was hast du denn vor? Bist du doch schon mit diesem Typen verabredet?«
»Schön wär’s.« Ich muss mich beherrschen, nicht genervt zu klingen, sie kann nichts dafür, ich fühle mich nur auf einmal so erschöpft. Alles ist mir zu viel, ich will einfach zur Ruhe kommen, sonst nichts. Nicht permanent so vereinnahmt und verplant werden. »Ich will mich jetzt einfach noch nicht festlegen, sei nicht böse. Wenn ich spontan doch noch Lust bekomme wegzugehen, ruf ich dich an.«
»Versprochen?« Wieder dieser durchdringende Blick.
»Versprochen.« Ich drücke ihr ein Küsschen auf die Wange. »Bis dann.«
Den Samstag verbringe ich mit meinen Eltern, um sie zufriedenzustellen, um ihnen zu zeigen, ich bin da. Ich bin ihnen die Tochter, die sie haben wollen, frühstücke mit ihnen, beteilige mich an den Gesprächen über ihre Erlebnisse bei der Arbeit, über die Nachbarn, unsere im ganzen Land verstreut lebende Verwandtschaft und die neuesten Fernsehnachrichten. Ich sorge für Sissy und spiele mit ihr, das tut mir gut; koche mit Mama für den Abend vor und fahre mit zum Baden im Strandbad Wannsee. Hier bin ich im Sommer wirklich gern. Oft stelle ich mir vor, wie es vor hundert Jahren an diesem Platz ausgesehen haben mag – wohl nicht viel anders als heute, weil das Bad denkmalgeschützt ist, aber die Leute hatten andere Badebekleidung an, geringelte Jerseyware der Marke »Liebestöter«. Mama schwimmt weit hinaus, während Papa im Strandkorb Zeitung liest und sich nur ab und zu kurz erfrischt. Ich denke an Corvin, auch hier könnte er sein, aber mit meinen Eltern im Schlepptau will ich ihn lieber nicht treffen.
Die Sonne lässt meine Haut glühen, hin und wieder tauche auch ich in das grünliche, erfrischende Wasser ein. Ich genieße es, noch einmal frei zu haben, noch einmal den Sommer zu spüren, eigentlich könnte es noch ewig so weitergehen. Wenn ich daran denke, dass am Montag die Schule wieder beginnt und wenige Tage später auch Manuel wieder da sein wird, krampft sich alles in mir zusammen. Aus dem Krankenhaus schickt er mir eine SMS nach der anderen, in denen er mich abwechselnd bedroht und beteuert, er habe alles nicht so gemeint und ich solle doch zu ihm
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