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Schwarze Stunde

Schwarze Stunde

Titel: Schwarze Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Feher
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zurückkommen. Es nützt nichts, mein Telefon auszuschalten – als ich es später doch wieder einschalte, weil ja auch andere Nachrichten eingegangen sein können, habe ich fast mein ganzes Postfach voll mit Nachrichten von ihm.
    Am Eisstand treffe ich Carla aus meinem Jahrgang, die allein mit dem Rad gekommen ist und mich nur flüchtig grüßt, ehe sie mit ihren drei Kugeln Fürst Pückler wieder verschwindet und sich auf ihr Handtuch legt, um zu lesen. Ich wollte nie eine so stille Außenseiterin sein wie sie, doch in diesem Moment beneide ich sie fast. Sie hat nie einen Freund, dafür aber immer ihre Ruhe. Mir hingegen wird jetzt schon schlecht, weil ich mir bereits ausmalen kann, wie sie am Montag in der Schule alle über mich herfallen werden, weil ich mit dem armen und ach so tollen Manuel Schluss gemacht habe. Nicht einmal Alena ist da eine Ausnahme.
    Am späten Nachmittag, als die Schatten bereits ein wenig länger werden, wird es rasch kühler; nach dem letzten Mal Schwimmen trocknet mein Bikini nicht mehr so schnell. Wir packen unsere Sachen zusammen und fahren zurück. Zum Abendessen gibt es Lasagne und gemischten Salat, wir sind alle drei müde, meine Eltern wirken zufrieden nach diesem Sommertag, an dem wir uns noch einmal als Familie füreinander Zeit genommen haben, ehe der Alltagsstress wieder beginnt.
    Im Wohnzimmer steht die Balkontür weit offen, noch immer ist die Luft draußen warm und verlockend, ein seidiger, schwacher Wind belebt die Zweige und selbst die Balkonblumen; ich trete nach draußen und zupfe ein paar verblühte Blütenblätter ab, unschlüssig, was ich mit diesem lauen Samstagabend anfangen soll. Bestimmt ist die Innenstadt voller Menschen, die an diesem Sommerabend hungrig sind nach Abwechslung, Spaß, Musik und Tanz. Corvin, denke ich, und richte meinen Blick in die Ferne, durch einen schmalen Spalt zwischen zwei Mietshäusern, hinter dem ich die Lichter der Stadt erkennen kann, wo von fern ihr pulsierendes Brausen an meine Ohren dringt. Corvin, irgendwo da draußen bist du.
    Papa studiert das Fernsehprogramm für den Abend und spricht mit Mama ab, gemeinsam einen Spielfilm zu sehen, der von den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges erzählt. Der interessiert beide, immer wieder betont der Vater, er würde sich den dümmlichen Klamauk, der sonst oft im Fernsehen läuft, nicht antun.
    »Was ist mit dir, Töchterchen?«, fragt er und sieht mich über den Rand seiner Lesebrille an, als ich vom Balkon zurück ins Zimmer trete. »Schaust du mit?«
    Ich zögere. Der Tag mit den beiden war nett und harmonisch, doch jetzt verspüre ich das dringende Bedürfnis, allein zu sein. Meine Sachen für die Schule vorbereiten, vielleicht Tagebuch schreiben, die Begegnung mit Corvin darin festhalten, zu groß ist die Angst, ich könnte sie irgendwann verlieren. Meine Gedanken sortieren, ohne mit jemandem reden zu müssen. »Ich muss noch ein paar Kleinigkeiten in meinem Zimmer erledigen«, antworte ich meinem Vater schließlich. »Danach gehe ich vielleicht noch mal weg.«
    »Wohin denn?« Meine Mutter, die gerade die Zimmerpflanzen gießt, hält in ihrer Bewegung inne und mustert mich. »Wir waren heute lange genug unterwegs, nach dem Baden musst du doch auch müde sein. Vorher noch die anstrengende Kurzreise nach England, dann gleich zu Manuel ins Krankenhaus … Du bist noch gar nicht zur Ruhe gekommen, seit du wieder zurück bist.«
    Abermals antworte ich nicht sofort. Ich kann ihr nicht sagen, dass mich der Gedanke an Corvin nicht loslässt, vielleicht wartet er doch auf mich in seinem Lieblingsclub, der Unterholz heißt. Ich brauche keine Scheu zu haben, dort aufzukreuzen, er hat mir die Adresse genannt mit den Worten, dass er mich gern dort treffen möchte. Wenn ich jetzt darauf verzichte, kann ich wahrscheinlich nicht mal schlafen, so müde und aufgedreht zugleich, wie ich mich fühle. Heute ist Samstag, der ideale Tag, um wegzugehen, bevor am Montag die Schule wieder anfängt. Dann sehe ich dieselben Leute wie immer, sehe Manuel wieder, es kommen Referate, Tests und Klausuren auf mich zu und Alena, die möglichst viel Zeit mit mir verbringen will, dazu all die anderen aus der Schule. Wer weiß, wann ich es überhaupt schaffen werde, ins Unterholz zu gehen . Heute passt es. Die Nacht ist noch jung und die sommerliche Stimmung bald vorbei. Vielleicht kann ich sie heute noch einmal mit Corvin auffangen – wenn ich Glück habe und er tatsächlich da ist. Aber das darf Mama nicht wissen. Sie

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