Schwarze Stunde
konnten doch selber kaum ein Auge von ihm lassen, hast du doch auch gemerkt.«
»Dann sind sie vielleicht eifersüchtig.«
»Aber worauf denn?« Ich bleibe stehen und spüre, wie mich Panik ergreift, gleichzeitig könnte ich Alena schütteln. Ich weiß nicht, warum sie ständig in meinem Seelenleben herumwühlen muss, ich muss mich beherrschen, um nicht auszurasten, nicht loszuschreien. Ich kann ihr das mit Corvin einfach nicht erzählen. Dass unser neuer Lehrer der tolle Typ aus dem Flieger ist. Ich versuche, ruhig zu bleiben. Nur nicht auffallen, jetzt nur nichts Falsches sagen, nichts, das mich verraten könnte, mich und ihn. Es gibt nichts zu verraten.
»Ich bin gut in Englisch und ich mag Musik«, erkläre ich langsam, spreche jedes Wort einzeln mit Betonung aus. »Nach dem langweiligen Unterricht bei Frau Lindner ist es doch klar, dass ich Corvins Gitarrensongs aufsauge wie ein Schwamm. Das tun doch alle.«
Alena fixiert mich mit ihrem Blick, durchbohrt mich.
»Corvins Gitarrensongs«, wiederholt sie.
»Ja. Ich bin nicht die Einzige, die darauf abfährt. Warum machst du bei mir so ein Gewese darum und bei den anderen Mädchen nicht?«
» Corvins Gitarrensongs«, wiederholt sie so aufreizend langsam, als müsste sie mir ihre Worte buchstabieren, damit ich sie verstehe. Und da merke ich es. Ich habe Corvins Namen ausgesprochen, zum ersten Mal, seit klar ist, dass er unser Lehrer ist. Eine unsichtbare Hand legt sich wie Eisen um meine Kehle. Schnell, mach dies hier ungeschehen, wie konnte ich so nachlässig sein, irgendjemand muss die Zeit zurückdrehen, mich diese Minute noch einmal neu leben lassen, damit ich sie korrigieren kann, aber es geht nicht, ich habe alles zerstört, bevor es überhaupt angefangen hat.
Alena verschränkt die Arme vor der Brust.
»So häufig ist der Name ja nicht«, stellt sie fest. »Was für ein Zufall. Der Traumprinz aus dem Flieger von London nach Berlin. Black Hour -Fan wie du. Hier in unserer verflixten Schule. Warum hast du es mir verheimlicht?«
»Ich habe das nicht gewusst«, versuche ich irgendwie zu erklären. »Im Flugzeug haben wir nicht über seinen Beruf gesprochen, nur über das Konzert und allgemeines Zeug. Als er dann in Englisch auf einmal vor uns stand, wäre ich fast vom Stuhl gefallen. Ich komme immer noch nicht richtig damit klar.«
»Und er?«
»Was meinst du damit?«
»Ihr habt euch doch sicher schon heimlich getroffen«, mutmaßt Alena.
»Nein!«, verteidige ich mich. »Ich habe nicht ein privates Wort mit ihm geredet, ehrlich nicht!«
Sie mustert mich lange und eindringlich.
»Fang bloß nichts mit ihm an«, meint sie schließlich. »Wenn du das machst, wirst du dir irgendwann wünschen, nie geboren worden zu sein.« Dann dreht sie sich abrupt um und lässt mich stehen.
**
Am nächsten Tag ist endlich Freitag. Nach Schulschluss trödele ich noch eine Weile herum, im Kursraum, auf der Toilette, vermeide es, irgendjemandem zu begegnen. Ich will, dass Gras über all das wächst, was Alena mir gestern vorgeworfen hat, dass sie dichthält, dass nicht alle dauernd darüber nachdenken, ob ich Corvin angesehen habe oder nicht. In der letzten Doppelstunde hatte Alena einen anderen Kurs als ich, und die anderen beachten mich zum Glück nicht weiter, freitags beeilt sich jeder, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen, um möglichst viel vom Wochenende zu haben. Langsam streife ich durch den Flur im Erdgeschoss, schaue mir den Vertretungsplan an, viel steht nicht dran, in den ersten Wochen nach den Sommerferien sind die Lehrer selten krank, nur einer von den älteren, bei dem ich noch nie Unterricht hatte, ist zur Kur.
Als ich gleich darauf in den Fahrradhof trete, sind nur noch wenige Schüler da. Zwei Jungen pumpen fluchend ihre Reifen auf, schon vor den Ferien schien es ein Sport unter den Siebtklässlern zu sein, sich gegenseitig die Luft rauszulassen, und das hat sich mit dem neuen Schuljahr nicht geändert. Ich schließe mein Rad los und lege meine Tasche in den Korb auf dem Gepäckträger, fahre mit der Handfläche über den Sattel, hebe das Rad aus dem Ständer, streiche mir die Haare aus dem Gesicht und trete in die Pedale. Fahrradfahren tröstet mich immer, es erfrischt mich, besonders wenn ich allein bin; die Bewegung der Beine, der Fahrtwind in den Haaren und der Sonnenschein auf den Wangen, das alles macht, dass ich mich lebendig fühle, zuversichtlicher, selbst jetzt. Jeden Tag werde ich Corvin sehen, und irgendwann werde ich wissen,
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