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Schwarze Stunde

Schwarze Stunde

Titel: Schwarze Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Feher
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Schuhspitze eine weggeworfene Zigarettenkippe hin und her. »Ich wollte dich was fragen.«
    Er will, dass ich ihn reinbitte. Es ist nichts dabei, Manuel ist mein Exfreund, noch vor wenigen Monaten ist er fast jeden Tag bei mir gewesen oder ich bei ihm. Ich denke an seine Ansage im Krankenhaus und seine finsteren Blicke, als er zum ersten Mal danach wieder in der Schule war. Seitdem sind wir uns nicht oft über den Weg gelaufen, ich habe es erfolgreich versucht zu vermeiden, bis auf die Musikstunden, in denen er seinen Stuhl immer neben meinen zieht und mir nicht von der Seite weicht.
    »Wir können auch hier reden«, schlägt er vor. »Ich wollte nicht aufdringlich sein.«
    »Meine Eltern gehen bald schlafen«, behaupte ich. »Wenn ich um kurz vor zehn noch jemanden mitbringe, sind sie bestimmt nicht gerade beglückt.«
    »Bist du deshalb so spät noch unterwegs?« Er mustert mich von oben bis unten, meine Röhrenjeans, die flachen, weichen Stiefeletten, die Jeansjacke. Besonders gestylt bin ich nicht, auf keinen Fall mehr als zu Zeiten, als wir uns noch miteinander verabredet haben.
    »Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig«, erinnere ich ihn. »Also, was willst du?«
    »Tut mir leid«, murmelt er, blickt sich um, als beobachte uns jemand, ehe er fortfährt. »Es ist wegen meinem Bio-Leistungskurs. Ich stehe da ziemlich auf der Kippe, und man darf sich nur einen Ausfall erlauben, sonst kann man das Abi vergessen.«
    »Ist mir nicht neu. Aber in Bio bin ich selber keine Leuchte. Nachhilfe ist also nicht. Ich bin ja nur im Grundkurs.«
    »Das meine ich auch nicht. Sondern ich hab überlegt, ob ich vielleicht wechseln sollte. Von Bio zu Englisch. Ich hab mich schon erkundigt, ob das gehen würde, und wahrscheinlich müsste ich dafür die Zwölfte wiederholen. Aber für ein passables Abi nehme ich das in Kauf. Deshalb wollte ich dich fragen, wie der Unterricht so ist. Kommst du gut klar?«
    Mir wird kalt ums Herz. Er spioniert mich doch aus. Das alles ist nur ein Vorwand, er hätte mich genauso gut in der Schule fragen können, oder einen von seinen Kumpels, die im Englisch-Leistungskurs sind, Oleg oder Patrick zum Beispiel. Und das Schlimme ist, ich kann nichts tun, bin ihm ausgeliefert. Manuel weiß genauso gut wie ich, was passiert, wenn ich zu verhindern versuche, dass er in meinen Kurs wechselt. Und wenn er es tut, kann ebenfalls alles nur schlimmer werden.
    »Frau Bollmann ist schon cool«, sage ich also. »Und jetzt haben wir manchmal auch diesen neuen Referendar, der auch Musik gibt, den kennst du ja. Herr Schwarze.«
    »Den alle so toll finden.« Sein Blick dringt in meine Augen, lauernd. Dann scheint er sich wieder zu besinnen und wechselt zurück auf belanglos.
    »Ja, der. In Englisch wirkt er etwas trockener als in Musik. Gitarre gespielt hat er da jedenfalls noch nicht.«
    »Du könntest den Kurs also empfehlen?«
    »Manuel, das musst du selber wissen. Der Unterricht ist okay, aber wir sind natürlich viel weiter als du, dir fehlen erst mal jede Menge Vokabeln, also mach mich nicht dafür verantwortlich, wenn es nicht klappt. Ich …«
    »Das weiß ich«, unterbricht er mich. Streckt seine Arme aus und legt sie auf meine, schüttelt den Kopf. »Sorry, ich weiß auch nicht, warum ich in letzter Zeit so aufbrausend bin. Das mit uns habe ich überwunden, glaube ich, daran liegt es nicht. Mir liegt aber was an dir … also … meinst du, wir könnten vielleicht Freunde bleiben, Valerie?«
    Ich hebe die Schultern. »Warum nicht? Ich habe nie behauptet, dass wir das nicht können. Wir müssen uns ja nicht hassen, nur weil wir mal zusammen waren und es nun nicht mehr sind.«
    »Danke.« Er lässt mich wieder los und lächelt ein wenig schief. Ein leichter Wind stellt seine Haare auf, irgendwie rührt er mich, wie er da so steht, fast einen Meter neunzig groß, die breiten Schultern in einer fast zu eng gewordenen Jacke, auf der Wange ein Pickel, notdürftig mit Abdeckstift übermalt. »Dann geh ich mal. Bis dann.« Er hebt die Hand und will sich in Bewegung setzen, da fällt mir etwas ein.
    »Manuel?«
    Er bleibt stehen und sieht mich an.
    »Warst du das neulich, mit dem Motorrad?«
    Er zieht die Stirn kraus. »Was meinst du: Neulich mit dem Motorrad?«
    »Vor ein paar Wochen mal, abends. Da bin ich nach Hause gekommen, und auf einmal hat mich ein Motorradfahrer geschnitten, fast auf dem Gehweg, ich bin vor Schreck beinahe in Ohnmacht gefallen, aber weil ich so wütend war, habe ich nach dem ersten Schock

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