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Schwarze Stunde

Schwarze Stunde

Titel: Schwarze Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Feher
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heraus und schreibt die Daten der Fahrt an die Tafel, Adresse und Webseite der Jugendherberge, die Kosten für Fahrt und Übernachtung, ihre Kontonummer für die Überweisung der Reisekosten. Wir übertragen alles in unsere Kalender. Mit Corvin nach England, ans Meer! Ich beuge mich über mein Heft und tue so, als ob ich nicht bemerke, dass Alena mich die ganze Zeit mit hochgezogenen Brauen anstarrt. Wenig später räumen wir unsere Notizen weg und Frau Bollmann verteilt eine weitere Story of Initiation ; dieses Mal »Indian Camp« von Ernest Hemingway. Unsere Lehrerin verkündet, dass wir in der Klausur in zwei Wochen diese Kurzgeschichte mit »Live Life Deeply« vergleichen sollen. Das wird nicht schwer. Ich melde mich als Erste zum Lesen.
    Nach Schulschluss entschuldigt sich Alena, dass sie nicht mit zu mir kommen könne.
    »Zweiter Versuch, die Theorieprüfung zu bestehen«, meint sie und schiebt die Unterlippe vor. »Ich muss damit endlich mal fertig werden, sonst rutsche ich mit dem Fahrlehrer noch bei Glatteis herum. Sei nicht böse.«
    »Schade«, sage ich, obwohl ich insgeheim frohlocke. »Aber ich habe auch noch einiges zu erledigen. Hab ein bisschen wenig für die Schule getan in letzter Zeit.«
    »Ach. Hast du dich doch mit Corvin getroffen?«, fragt sie neugierig.
    »Du weißt, dass wir uns das aus dem Kopf geschlagen haben.«
    »Habt ihr Schluss gemacht?«
    »Wir sind nie wirklich ein Paar gewesen. Das weißt du.«
    »Dann trefft euch doch nachher. Ihr müsst doch mal bereden, wie es weitergehen soll. Schon wegen der Kursfahrt.«
    »Alena.« Ich muss mich zurückhalten, um nicht unwirsch zu klingen. »Ich weiß nicht mal, was Corvin heute macht. Ich bin dir wirklich dankbar, dass du versprochen hast, zu mir zu halten und mich nicht zu verraten. Aber ich kann dir nichts über Corvin und mich auftischen, was es nicht gibt.«
    Ihre Augenbrauen ziehen sich zusammen, sie schnappt nach Luft und will etwas erwidern, doch dann besinnt sie sich und ihre Gesichtszüge werden wieder glatt.
    »Du hast recht«, lenkt sie ein. »Ich drück dir die Daumen, egal wie dein Tag heute noch verläuft. Wenn dir danach ist oder du mich brauchst, können wir abends noch bei Facebook chatten, oder du rufst mich an.« Wir sind am Fahrradständer angekommen, sie beugt sich zu ihrem Schloss hinunter, schiebt den Schlüssel hinein, es scheint zu klemmen.
    »Hey«, sage ich leise, spüre Unbehagen in mir aufsteigen, weil ich sie wieder belüge. Belügen muss. »Jetzt sei nicht sauer. Ich kann auch mitkommen zu deiner Prüfung, da habe ich ja noch etwas gutzumachen.«
    Jetzt hat sie ihr Schloss aufbekommen, hebt ihr Rad aus dem Ständer und steigt auf.
    »Ich bin dir nicht böse, wenn du dich mit ihm triffst«, sagt sie, ohne auf meine Worte einzugehen, neigt sich zu mir vor und küsst meine Lippen. Dann hebt sie ihre Mundwinkel, doch ihre Augen lachen nicht mit. »Ich will nur nicht, dass du einen Fehler machst, Valerie. Dir darf nichts passieren, niemals.«
    Sie tritt in die Pedalen und rollt über den Fahrradhof auf die Ausfahrt zu, ohne abzuwarten, bis ich ebenfalls startbereit bin. Ich blicke ihr nach, bis sie um die Ecke verschwunden ist, dann nehme auch ich meinen Fahrradschlüssel aus der Tasche und gehe in die Hocke, um mein Schloss zu öffnen, erst die Kette, dann das Speichenschloss am Hinterrad, und da sehe ich es. Der Reifen ist platt. Der vordere ebenfalls. Also keine versehentlich überfahrene Glasscherbe, kein rostiger Nagel auf der Fahrbahn, sondern sorgsam herausgedrehte und wieder neu befestigte Ventile. Auf meiner Luftpumpe klebt ein Post-it. Dieselben schwarzen Schablonenbuchstaben, nur dieses Mal ohne Blut. Ich will die Worte nicht lesen. Ich muss. Du kommst nicht weit , steht auf dem Zettel. Ich reiße ihn ab und werfe ihn in den Papierkorb neben dem Hintereingang der Schule. Regen setzt ein, während ich mein Fahrrad nach Hause schiebe.
    Am Nachmittag sitze ich an den Hausaufgaben, als mir Corvin eine SMS schickt. Ich muss dich sprechen , schreibt er; kannst du heute Abend noch raus?
    Wir treffen uns in der Kleinen Philharmonie, einer etwas versteckt liegenden Kneipe unweit vom Kudamm; Corvin sagt, ein schwuler Freund hätte ihn nach einem Theaterabend mal dorthin mitgenommen, auf diese Kneipe kämen die anderen aus der Schule nie, weder Schüler noch Lehrer. Er führt mich am Tresen vorbei in den hinteren Gastraum, und ich muss lachen, so etwas habe ich noch nie gesehen. Die Zimmerdecke ist mit bunten

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