Schwarze Stunde
dich sehen, immer und immer wieder. Aber wir müssen so verdammt aufpassen. Wir dürfen ihnen kein Futter geben, dürfen nichts tun, was sie uns nachweisen können.«
Dann umarmen wir uns lange, wie zwei Ertrinkende, die einander nicht loslassen wollen und doch wissen, dass sie sich so nur noch weiter in die Tiefe ziehen, dazu singt eine Französin aus dem krächzenden Lautsprecher in der Ecke über uns rauchige, klagende Chansons. Je ne regrette rien, ich bereue nichts. Jedes verdammte Lied scheint unser Lied zu sein.
» Black Hour ist das nicht gerade«, bemerkt Corvin grinsend, ohne mich loszulassen. »Stört dich diese Musik?«
Ich schüttle den Kopf. »Mit dir zusammen würde ich sogar böhmische Blasmusik hören. Hauptsache, du bist da.«
»Geht mir mit dir genauso«, gesteht er. »Wenn ich alleine zu Hause bin, sitze ich manchmal auf dem Fensterbrett bei geöffnetem Fenster, die Gitarre im Arm, und denke an dich. Wenn ich deine Augen vor mir sehe, fallen mir die besten Songs ein. Ich bin fleißig am Komponieren.«
Ich umarme ihn erneut. »Wann spielst du mir was davon vor?«
»Ich will noch ein bisschen dran feilen. Aber ich hab was anderes für dich«, verkündet er, zieht seinen Arm von meiner Schulter und langt nach seiner Wildlederjacke, die er neben sich über die Sofalehne gelegt hat, greift in die Innentasche und zieht eine Plastikhülle mit einer gebrannten CD heraus.
»Der neuste Song von Black Hour , ein geheimes Vorab-Release. Habe ich aus dem Netz gezogen und gleich für dich gebrannt. Denk an mich, wenn du den Song beim Einschlafen hörst.«
»Ich hab dir auch was mitgebracht«, sage ich und drücke ihm einen zusammengefalteten Zettel in die Hand, auf dem ein Gedicht steht, das mir vor ein paar Tagen in den Sinn kam. Ich habe es gleich aufgeschrieben, es beschreibt meine Gefühle für Corvin. »Vielleicht passt es zu einem deiner Songs. Aber erst zu Hause lesen!«
Wir trinken unser Bier aus und genießen es, einfach beieinander zu sein. Sehr lange bleiben wir nicht mehr. An diesem Abend bringt mich Corvin nicht mit dem Auto nach Hause, es ist zu gefährlich. Wir verabschieden uns noch auf dem Sofa, dann geht er nach vorn, um zu zahlen, und ich suche die Toilette auf. Als ich fertig bin, ist er schon weg. Es tut mir gut, zu Fuß nach Hause zu gehen, noch eine Weile für mich zu sein. Die Luft ist frisch, in den Nebenstraßen riecht es bereits ein wenig nach vermodertem Laub. Jetzt im beginnenden Herbst wird es ruhiger, statt Cabrios mit lauter Musik fahren geschlossene Limousinen an mir vorbei, Fußgänger schlagen in der feuchten Luft ihre Jackenkragen hoch, Frauen schlingen sich ihre Tücher enger um den Hals.
Vom Bier ist mir angenehm schummerig im Kopf, und ich fühle mich ein wenig erleichtert, weil ich Corvin erzählt habe, dass Alena von uns weiß, und er es mir nicht übel genommen hat. In drei Wochen bin ich volljährig, und danach müssen wir nur noch irgendwie bis zu meinem Abi durchhalten, dann haben wir es geschafft und kein Gesetz der Welt kann uns mehr trennen. Mit einem Lächeln im Gesicht biege ich um die letzte Straßenecke, doch plötzlich habe ich das Gefühl, verfolgt zu werden. Ich wage nicht mich umzudrehen, zwinge mich dazu, nicht einmal meinen Schritt zu beschleunigen, als würde ich bei meinem Verfolger eine Art Beutefangverhalten auslösen, wenn ich jetzt renne.
Im schwachen Schein der Straßenlaternen erkenne ich tatsächlich einen Schatten hinter meinem, länger als ich, natürlich ein Mann, es muss gar nichts bedeuten, irgendein Nachbar, der ebenfalls nach Hause zurückkehrt, es ist ja noch nicht tiefste Nacht, meine Eltern werden oben gerade das heute-journal im Fernsehen einschalten. Trotzdem hoffe ich, schnell ins Haus zu gelangen und nicht meinen Schlüssel vergessen zu haben. Beim Fernsehen kann es dauern, bis meine Mutter oder mein Vater aufsteht, um für mich den Haustüröffner zu drücken. Der Mann hinter mir räuspert sich.
»Valerie.« Es ist Manuels Stimme. »Valerie, warte mal bitte.«
Ich bleibe stehen, ohne mich umzudrehen, mit zwei Schritten ist er neben mir. Der Motorradfahrer neulich. Wenn Manuel mir schon länger nachspioniert, hat er Corvin vor mir aus der Kneipe kommen sehen. Dennoch versuche ich, mir keine Furcht anmerken zu lassen, und versuche sogar ein wenig zu lächeln, als ich ihn be-grüße.
»Wolltest du zu mir?«, frage ich ihn.
»Ich habe versucht, dich anzurufen, hatte aber kein Glück.« Er wirkt verlegen, schiebt mit der
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