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Schwarze Stunde

Schwarze Stunde

Titel: Schwarze Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Feher
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Spiegel geschaut, und was ich jetzt sehe, erschreckt mich. Meine Augen liegen tief in den dunklen Höhlen, mein Haar wirkt strähnig und ungekämmt, was zwar an der Nässe liegt, aber dennoch zum Bild passt. Meine Gesichtshaut hat die leichte Bräune des Sommers endgültig verloren und ist einer graugrün wirkenden Blässe gewichen. Meine Wangenknochen stehen deutlicher hervor, ich muss abgenommen haben, das wollte ich gar nicht. Sicher wird Corvin mir ansehen, wie fertig ich bin, wenn er es nicht längst in der Schule bemerkt hat, und wenn er mich wirklich liebt, wird er begreifen, dass wir uns trennen müssen.
    Noch vier Stationen. Ich schließe die Augen und versuche mir vorzustellen, wie ich mir mein altes Leben zurückholen werde, mich wieder meinen Freunden widmen, so wie früher, eine von ihnen sein, zu jedem Unsinn bereit, abends mit in Clubs gehen, die nicht Unterholz heißen, jung sein, endlich wieder jung sein, fröhlich und unbeschwert. Alena hat recht, wenn sie mir vorwirft, ich hätte mich durch Corvin zu meinem Nachteil verändert. Ich will das nicht mehr. Es muss aufhören, auch wenn der Gedanke, mich von Corvin zu trennen, mir schon jetzt Tränen in die Augen treibt. Ich öffne die Augen wieder und versuche, die Tränen mit einem Taschentuch abzutupfen, vorsichtig, damit mein Kajal nicht verläuft, heute habe ich grünen aufgetragen, der meine Augenfarbe strahlender wirken lässt, irgendwann einmal habe ich festgestellt, dass meine Augen sogar intensiver leuchten, nachdem ich geweint habe. Aber ich will nicht heulen. Dieses eine Mal noch muss ich stark bleiben, unbedingt, egal wie Corvin reagiert. Nur noch dieses Mal. Ich hoffe so sehr, dass ich es schaffe.
    Die Bahn fährt in Rüdersdorf ein. Ich knülle mein Taschentuch zusammen, um es draußen gleich wegzuwerfen. Auf meinem Handy geht eine SMS ein, ohne Inhalt bis auf einige Kreuzzeichen nebeneinander. Gehetzt blicke ich mich um, die Tür springt mit einem Zischen auf und die ersten Fahrgäste betreten bereits den Bahnsteig, ich eile hinterher und suche alle Gesichter nach denen meiner Mitschüler ab, kann jedoch niemanden entdecken, oder ist das dahinten Patrick? … dort drüben am Zeitungskiosk Yuki? … nein, eine andere Japanerin … der Motorradfahrer an der roten Ampel draußen, nein, es ist nicht Manuel, das Modell seiner Maschine ähnelt Manuels nur. Ich scheine langsam paranoid zu werden, fluchend werfe ich mein Handy zurück in meine Fransentasche und blicke mich nach Corvin um, entdecke ihn auch schon an der Ecke, er hupt zweimal kurz und winkt mich zu sich heran, ich mache mich auf den Weg. Der Himmel ist hier draußen noch grau-verhangener als in der Innenstadt, inzwischen gießt es in Strömen, einen Schirm habe ich nicht dabei, mein Augen-Make-up verläuft bestimmt, aber auch das ist mir plötzlich egal, auch dass meine Jacke schon durchgeweicht ist, noch ehe ich an Corvins Auto angelangt bin, kümmert mich nicht. Das Wasser rinnt mir vom Hals in den Pulloverausschnitt und den Rücken hinunter, mich fröstelt, und meine Hände sind klamm und rot, viel zu früh im Jahr fühlen sie sich so steif an, aber die außergewöhnliche Kälte passt zu meiner Stimmung. Der Regen verdichtet sich zu einem regelrechten Wolkenbruch, neben einer Bushaltestelle rutsche ich beinahe aus, kann mich gerade noch mit den Füßen abfangen, meine Wildledersneakers sind dunkel vor Nässe, und aus meinem Pony rinnt das Wasser über mein Gesicht wie unaufhaltsame Tränen.
    Corvin öffnet die Tür auf meiner Seite, ich lasse mich in den Beifahrersitz fallen, wir küssen uns nicht, sondern fahren sofort los, weil er im Parkverbot gestanden hat. An einer stark befahrenen Kreuzung prescht ein Taxi dicht an uns vorbei durch eine tiefe Pfütze und beschmutzt die Scheibe auf Corvins Seite mit einer schlammigen Brühe. Gerade hatte ich versucht, durch einige tiefe Atemzüge meinen Herzschlag zu beruhigen, doch jetzt blicke ich mich erneut um, wie immer, ich kenne es nicht mehr anders, als mich immer verfolgt, immer beobachtet zu fühlen. Doch ein Blick in den Rückspiegel verrät, dass zumindest niemand hinter uns her zu fahren scheint, keine hastige Bewegung hinter Litfaßsäulen und in Hauseingängen zeigt an, dass ich auch dieses Mal nicht allein mit Corvin bin, bei dieser Sintflut sitzen sie alle zu Hause in ihrem geordneten, kleingeistigen Leben, lernen für die nächste Klausur oder chatten im Internet, ich will nicht so leben wie sie, ich will es doch, sonst

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