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Schwarze Stunde

Schwarze Stunde

Titel: Schwarze Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Feher
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Blatt und versuche mich zu konzentrieren, fange Alenas Blick auf, sie schürzt ihre Lippen zu einem Kuss, zwinkert mir zu, es soll beruhigend wirken, ich bin da, bin bei dir, Süße, ab jetzt stehen wir das zusammen durch, aber ihr Gesichtsausdruck verrät, dass sie etwas zurückhaben, mich zu etwas verpflichten will. Mit ihrer Liebeserklärung hat sie mich weiter an sich gebunden, ich fühle ihre Zuneigung wie eine Schlinge, die sich um meinen Hals legt und immer enger zugezogen wird. Trotzdem schenke ich ihr ein schwaches Lächeln.
    Die Arbeit schreiben. Die erste Frage ist leicht für mich, auch für die zweite werde ich nicht allzu lange brauchen. Also nehme ich meinen Stift und fange an, obwohl es in meinem Kopf rauscht und meine Beine sich anfühlen, als ob ich sie nie wieder benutzen kann. Irgendwas werde ich schon hinschreiben, wenn es nicht gut wird, kann es mir nur nützen, niemand kann mir dann noch unterstellen, ich hätte von Corvin die Lösungen bekommen und diese allein für mich behalten, alles andere ist egal. Ich bin am Ende mit meiner Kraft. Ich könnte ein leeres Blatt abgeben, weder die Zensur noch mein Notendurchschnitt interessieren mich, ich will nur meine Ruhe, will allein sein, ich kann nicht mehr. Die Kreideumrisse im Mülltonnenhof sind nicht weit hergeholt; unbeabsichtigt haben meine Mitschüler damit ausgedrückt, wie ich mich fühle. Ich bin ausgehöhlt wie ein Kürbis, der nur an einem einzigen Abend mit einem Licht in seinem Inneren den Raum schmücken soll, um danach vergessen zu werden, um vor sich hin zu faulen, bis er schlapp und stinkend in sich zusammenfällt. Ich weiß noch nicht wie, aber ich will so nicht weiterleben, weil ich kein Leben mehr habe. Ich muss etwas ändern, und zwar allein, niemand wird mir hier heraushelfen, nicht Corvin, nicht Alena, nicht einmal meine Eltern. Es muss aufhören, alles, und ich muss mich allein freistrampeln. Dieser Entschluss lässt mich plötzlich klar im Kopf werden, ich nehme meinen Fineliner auf und beginne zu schreiben, konzentriert, schnell, aus einem Guss, muss mir keine Notizen machen, schreibe gleich ins Reine, um Zeit zu sparen.
    Als würde Frau Bollmann spüren, was mit mir los ist, schaut sie plötzlich von ihren Heften auf und fixiert mich, ich halte ihrem Blick stand, ehe ich weiterschreibe. Für diese Doppelstunde habe ich nur ein einziges Ziel: Ich will mit dieser Klausur fertig sein, bevor Corvin kommt, um Frau Bollmann abzulösen.

18.

    S eit der Englischklausur vor drei Tagen ist alles noch schlimmer geworden. Alena bewacht mich auf Schritt und Tritt, holt mich morgens zu Hause ab und bleibt die ganze Zeit an mir kleben, außer wenn sie selbst einen Termin hat. Mittags liegt jeden Tag ein Drohbrief in unserer Post, zum Glück bin ich immer die Erste, die zu Hause ist und die Post aus dem Kasten im Treppenhaus nimmt. Immer wieder diese ausgeschnittenen Buchstaben, mal säuberlich nebeneinander geklebt, mal chaotisch angeordnet, doch der Inhalt stets der gleiche: Ich solle meine widerlichen Finger von Corvin lassen, sonst würde ich es mit dem Leben bezahlen. Allein wage ich mich kaum noch aus dem Haus, schon gar nicht in der Dunkelheit, die jetzt, wo es auf Mitte Oktober zugeht, schon recht früh einsetzt, denn in jedem anderen Menschen auf der Straße sehe ich einen Verfolger, jeder Schritt, den ich hinter mir höre, scheint jemandem zu gehören, der mir nach dem Leben trachtet, und an jeder Ecke, in jedem Hauseingang fühle ich jemanden lauern. Zudem bekommen wir zu Hause seit der Klausur anonyme Anrufe auf dem Festnetz, die auch meine Eltern bereits aufhorchen lassen. Nimmt jemand ab, wird am anderen Ende geatmet und nach einigen Sekunden aufgelegt; lassen wir es klingeln, klingelt es so lange, bis meine Mutter sich die Ohren zuhält, zum Apparat stürmt und den Stecker herauszieht. Inzwischen lassen wir den Anrufbeantworter eingeschaltet, selbst wenn wir zu Hause sind.
    »Hast du eine Ahnung, wer dahinterstecken könnte?«, hat mich mein Vater neulich gefragt, natürlich weiß ich es, muss jedoch schweigen, weil ich sonst alles beichten müsste, und mein Vater würde nicht tatenlos zusehen, da bin ich sicher. Die Mitschüler würde er zur Rede stellen, und wenn er den Grund für ihre Schikanen erführe, würde er Corvin anzeigen, ganz egal wie glaubhaft ich dann versicherte, ihn mindestens so sehr zu lieben wie er mich. Um jeden Preis muss ich das verhindern.
    »Keine Ahnung«, habe ich also geantwortet. »Irgendein

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