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Schwarze Themse

Schwarze Themse

Titel: Schwarze Themse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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besser, er behielt sein Wissen für sich. Louvain würde es noch früh genug erfahren.
    Dann schoss ihm ein anderer Gedanke durch den Kopf: Was war, wenn Gould die Wahrheit gesagt hatte und Hodge schon tot gewesen war, bis auf die bei einem Sturz zugezogenen leichten Prellungen jedoch ohne äußere Verletzungen, und man ihm erst später den Schädel eingeschlagen hatte, weil er an der Pest gestorben war? Wenn es kein Mord war, sondern der Versuch, einen Todesfall zu vertuschen, der mit der Vernichtung der halben Menschheit enden konnte?
    Der halben Menschheit? Eine lächerliche Übertreibung? Albtraum und Hysterie? Was sagten die Geschichtsbücher?
    1348 war England im Vergleich zu heute eine unwissende, isolierte ländliche Gemeinschaft gewesen. Wenn Menschen überhaupt reisten, dann zu Fuß oder auf dem Rücken eines Pferdes. Das Wissen um die Medizin war rudimentär und voller Aberglauben.
    Er ging auf und ab und versuchte, sich die damalige Situation vorzustellen. Es war eine barbarische Zeit gewesen, lange vor der Renaissance. Wer hatte damals auf dem Thron gesessen?
Einer der Plantagenet-Könige, lange vor der Renaissance. Erst hundertfünfzig Jahre später hatte die Menschheit erfahren, dass die Erde rund war!
    In ganz England gab es noch Wälder mit wilden Tieren. Niemand hätte sich so etwas wie eine Eisenbahn vorstellen können!
    Und doch hatte sich die Pest ausgebreitet wie ein Lauffeuer! Wie viel weiter würde sie sich heute verbreiten, da man von der Südküste Englands in einem Tag bis nach Schottland reisen konnte? London war die größte Stadt der Welt, in der fast fünf Millionen Menschen lebten wie die Sardinen in der Büchse. Er hatte kürzlich jemanden sagen hören, in London lebten mehr Schotten als in Edinburgh! Und mehr Iren als in Dublin und mehr Katholiken als in Rom!
    Die Stadt würde zu einer Einöde der Toten und Sterbenden werden, die sich immer weiter ausbreitete, bis sie das ganze Land verseucht hatte. Es brauchte nur ein Schiff mit einem kranken Menschen an Bord Englands Küsten zu verlassen, und auch Europa wäre dem Untergang geweiht.
    Er hatte keine Wahl. Es stand nicht in seiner Macht, Hodges Tod zu untersuchen. Er musste Durban aufsuchen und ihm die ganze Wahrheit erzählen. Den Preis dafür würde er später bezahlen. Alles, was jetzt noch zählte, war, die Spur der Krankheit zu finden sowie alle, die infiziert waren.
    Er schlief unruhig, und als er verwirrt und mit brummendem Schädel aufwachte, überlegte er, was ihn beunruhigte. Dann kehrten die scheußlichen Erinnerungen zurück und erfüllten ihn mit einer Leere, die er kaum noch ertragen konnte. Er lag teilnahmslos da, als wäre die Zeit stehen geblieben, bis sein Verstand ihm schließlich sagte, dass die einzige Möglichkeit, weiterzuleben, darin bestand, etwas zu tun. Handeln würde den Schrecken zurückdrängen und einen Bruchteil seines Kopfes freihalten, in dem er leben konnte, zumindest so lange, bis Erschöpfung ihn zu sehr schwächte, um noch zu widerstehen.

    Er zog sich rasch warm an, denn er ging davon aus, dass er wahrscheinlich einen Großteil des Tages auf dem Fluss verbringen würde. Dann verließ er das Haus und kaufte sich bei einem Straßenhändler Tee und ein Sandwich.
    Er hatte mehr als ein Dutzend Möglichkeiten erwogen, wie er Durban die Wahrheit beibringen sollte, aber es gab keine gute, und es spielte kaum eine Rolle, wie er es formulierte. Alle persönlichen Bedürfnisse und Sorgen verflüchtigten sich angesichts der Ungeheuerlichkeit dieser neuen, schrecklichen Wahrheit, die alles andere verschlang.
    Es war ein klarer Tag, knapp oberhalb des Gefrierpunkts, aber es wirkte weitaus kälter, denn der Wind fegte über die strahlende Wasseroberfläche. Über seinem Kopf zogen Möwen ihre Kreise wie weiße Blitze am Himmel, und die einlaufende Tide leckte an den Pfosten der Piers und an den nassen Steinen der Treppen.
    Der Fluss war an diesem Morgen sehr belebt. Egal, wohin Monk schaute, überall nahmen Männer Lasten auf, karrten sie weg oder wankten unter dem Gewicht von Säcken und Ballen. Ihre Rufe wurden vom Wind erfasst und davongetragen. Leinwand flatterte lose und schlug gegen Planken. In der reinen Luft konnte er den Fluss hinauf- und hinuntersehen, bis dieser jeweils hinter einer Biegung verschwand, und Masten, Spiere und Takelwerk hoben sich scharf wie eine

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