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Schwarze Themse

Schwarze Themse

Titel: Schwarze Themse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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eine Bluse und hielt einen Zettel in der Hand. Ihr Gesicht strahlte, als sie Hester sah.
    Â»Nur einen Neuzugang in der Nacht«, sagte sie. »Eine Frau mit starken Bauchschmerzen. Ich glaube, es ist größtenteils Hunger. Wir haben ihr Porridge und ein Bett gegeben, und heute Morgen sieht sie schon besser aus.« Trotz der harmlosen Nachricht lag ein Schatten auf ihrem Gesicht.
    Seit sie vom Coldbath Square hierher gezogen waren, mussten sie keine Miete mehr zahlen, also wusste Hester, dass es nicht das war, was Margaret Sorgen bereitete. Dieses Gebäude gehörte ihnen – genauer gesagt, Squeaky Robinson, der unter der Voraussetzung, dass sie allein es nutzen konnten, solange sie wollten, vor dem Gefängnis verschont blieb und ein Dach über dem Kopf hatte. Die größeren Räumlichkeiten hatten ihnen erlaubt, ihre Arbeit auszudehnen, und jetzt war es in weiten Teilen von London bekannt, dass Prostituierte, die verletzt oder krank waren, hier Hilfe fanden, ohne moralische Vorhaltungen oder Befragungen durch die Polizei befürchten zu müssen.
    Das Gebäude war ein Labyrinth aus Zimmern und Fluren. Ursprünglich waren es zwei große Häuser gewesen, die entsprechenden Türen und Wände waren eingerissen worden, um eines daraus zu machen. Es hatte eine geeignete Küche und eine ausgezeichnete Wäscherei. Zu Squeaky Robinsons
Zeiten war es als Bordell genutzt worden, insbesondere die Wäscherei war ein Relikt aus dieser Zeit. Idealerweise hätten noch mehr Wände herausgerissen werden müssen, um aus den Zimmern richtige Stationen zu machen, was ihnen die Aufgabe erleichtert hätte, sich um die Patientinnen zu kümmern, aber dazu fehlten ihnen die finanziellen Mittel.
    Es war ohnehin schon schwierig, sich das Notwendigste leisten zu können: Kohle, das, was sie zum Waschen, Putzen und für die Beleuchtung brauchten, und Lebensmittel. Für Medikamente schien immer zu wenig Geld zur Verfügung zu stehen.
    Â»Wo haben Sie sie untergebracht?«, fragte Hester.
    Â»Zimmer drei«, antwortete Margaret. »Ich habe vor einer halben Stunde nach ihr geschaut, da hat sie geschlafen.«
    Hester ging trotzdem, um nach ihr zu sehen. Sie drehte geräuschlos den Knauf, öffnete leise die Tür und trat ein. Die Möblierung des Raums entsprach noch seinem ursprünglichen Zweck, dem er bis vor ein paar Monaten gedient hatte. Der Boden war von einem ziemlich guten Teppich bedeckt, der, obgleich er aus bunten Lumpen gemacht war, die Wärme im Raum hielt, und an den Wänden hingen alte Tapeten, was besser war als nackter Putz. Das Bett war mit Laken und Decken ausgestattet, und eine junge Frau lag darin, die tief und fest schlief, zur Seite gerollt, das Haar locker im Nacken zusammengesteckt. Die dünnen Schultern unter dem Baumwollnachthemd, das der Klinik gehörte, waren gut zu erkennen. Sie war wahrscheinlich in ihrem bunten Straßenkleid hereingekommen, das zu viel Haut zeigte und zu wenig Schutz vor der Kälte bot.
    Hester fühlte an dem dünnen Hals nach dem Puls. Die junge Frau rührte sich nicht. Sie sah aus wie achtzehn, aber wahrscheinlich war sie viel jünger. Ihr Schlüsselbein stach hervor, und ihre Haut schimmerte weiß, aber ihr Puls war einigermaßen stabil. Margaret hatte wahrscheinlich Recht, und es waren nur chronischer Hunger und Erschöpfung. Wenn sie aufwachte,
würden sie ihr noch etwas zu essen geben, aber danach würde sie wohl gehen müssen. Sie konnten es sich nicht leisten, sie mit durchzufüttern.
    Hester überlegte, wer sie wohl war: eine Prostituierte, die entweder nicht geschickt oder nicht hübsch genug war, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, eine Hausangestellte, die man hinausgeworfen hatte, weil sie sich entweder willentlich oder unwillentlich mit einem der Männer im Haus eingelassen hatte, ein Mädchen, das ein Baby bekommen und es vielleicht verloren hatte, eine verlassene Frau, eine kleine Diebin  – es gab unzählige Möglichkeiten.
    Sie verließ das Zimmer, schloss die Tür und ging zurück in den Hauptraum, der vor ein paar Monaten in ziemlich primitiver Handwerksarbeit aus zwei kleineren Räumen geschaffen worden war. Margaret saß am Tisch, und Bessie trug aus der Küche ein Tablett mit einer Teekanne und zwei Tassen herein. Bessie war eine große Frau mit grimmiger Miene, die ihr Haar straff nach hinten kämmte und am Hinterkopf zu

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