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Schwarze Themse

Schwarze Themse

Titel: Schwarze Themse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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hören.
    Â»Noch mehr?« Hester verstand nicht, was sie meinte, aber sie konnte sehen, dass es Mercy sehr wichtig war.
    Â»Noch mehr ... Kranke?«, flüsterte Mercy.
    Â»Nein«, antwortete Hester.
    Ein paar Minuten verstrichen schweigend. Mercys Lippen waren blau, und sie litt offensichtlich unter starken Schmerzen. Das Gift, das die Beulen unter ihren Armen und in der Leiste schwärzte, marterte jetzt ihren ganzen Körper. Hester war dem Tod oft genug begegnet, um zu wissen, dass es nicht mehr lange dauern würde. Sie würde Clement Louvain die Nachricht überbringen müssen, wenn es vorbei war und sie wieder mit der Welt draußen kommunizieren konnten. Sie
würde ihm auch von Ruth Clark erzählen müssen, egal, in welcher Beziehung er zu ihr gestanden hatte. Merkwürdig, so schöne Namen, Mercy und Clement, Mitleid und Gnade. Und die Schwester hieß Charity, Nächstenliebe. Und auch Ruth Clark passte hier hinein. Normalerweise wurde der Name negativ benutzt – »ruthless«, unbarmherzig, Ruth musste also so etwas wie Erbarmen und Nachsicht oder Sanftheit des Gemüts bedeuten. Wahrscheinlich würde Clement Louvain es Charity sagen. So viel Kummer für einen Mann.
    Hatte er gewusst, dass Ruth die Pest hatte? War das der Grund, warum er sie hierher gebracht hatte, statt sie in seinem Haus pflegen zu lassen? Wenn sie seine Geliebte gewesen war, hatte sie ihn womöglich angesteckt.
    Mercy schlug die Augen auf.
    Hester schaute sie an. »Wussten Sie, dass Ruth Clark die Pest hatte?«
    Mercy blinzelte. »Ruth?« Es klang fast, als wüsste sie nicht, von wem Hester sprach.
    Â»Ruth Clark, die erste Frau, die gestorben ist«, erinnerte Hester sie. »Sie wurde erstickt. Jemand hat ihr ein Kissen aufs Gesicht gedrückt und hat sie erstickt, aber sie wäre sowieso an der Pest gestorben – mit großer Wahrscheinlichkeit jedenfalls. Kaum jemand erholt sich.«
    Â»Sie will weggehen ...«, sagte Mercy heiser. »Hört nicht auf mich. Wird es verbreiten ...«
    Â»Aber nein«, versicherte Hester freundlich, während ihr Tränen in die Augen stiegen. »Sie hat die Klinik nicht verlassen, außer, um beerdigt zu werden.« Sie griff sanft nach Mercys Hand und spürte, dass sie ganz leicht reagierte. »Deswegen haben Sie sie umgebracht, nicht wahr?« Ihr Hals war eng und schmerzte. »Damit sie nicht weggeht. Sie wussten, dass sie die Pest hat, nicht wahr?«
    Â»Ja.« Es war kaum mehr als ein Atmen.
    Â»Woher? War sie die Geliebte Ihres Bruders?«
    Mercy stieß ein merkwürdiges leises Keuchen aus, als wäre
ihr etwas im Hals stecken geblieben, und es dauerte ein paar Sekunden, bis Hester erkannte, dass es ein Lachen war.
    Â»War sie es nicht?«, fragte sie. »Wer war Ruth Clark?«
    Â»Charity …«, antwortete Mercy. »Meine Schwester. Stanley ist auf See gestorben, aber Charity dachte, sie würde entkommen. Ich hätte sie nicht gelassen ... nicht mit der Pest. Ich ...« Aber sie hatte keine Kraft mehr. Ihre Augenlider flatterten, der Atem wich aus ihrem Körper, dann atmete sie nicht mehr ein.
    Hester tastete nach dem Puls, auch wenn sie wusste, dass sie nichts mehr spüren würde. Sie hatte Mercy nicht lange gekannt, aber sie hatten Sorgen, Mitleid, Lachen miteinander geteilt, hatten schmutzige körperliche Arbeit zusammen verrichtet, Angst, Hoffnung und andere wichtige Gefühle gemeinsam durchlebt. Jetzt wusste sie, dass Mercy gezielt in die Portpool Lane gekommen war, wohl wissend, welchen Preis sie wahrscheinlich dafür würde zahlen müssen, um ihre Schwester daran zu hindern, die Pest in der ganzen Stadt oder gar im ganzen Land zu verbreiten. Sie hatte den Preis bis auf den letzten Penny bezahlt.
    Langsam stand Hester vom Stuhl auf und kniete sich neben sie. Sie hatte oft für die Toten gebetet – es war ganz natürlich –, aber bislang hatte sie sich dabei stets an vorgegebene Gebetsformeln gehalten. Diesmal betete sie für Mercy in ihren eigenen Worten und wandte sich direkt an die göttliche Macht, die richtet und den Seelen der Menschen vergibt.
    Â»Vergib ihr«, sagte sie leise. »Bitte – sie wusste es nicht besser  – bitte! Bitte!«
    Sie wusste nicht, wie lange sie dort gekniet und diese Worte immer wieder wiederholt hatte, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte und zusammenfuhr, als

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