Schwarze Themse
auszumachen.
»Schnell!«, war das einzige Wort, das gesprochen wurde, aber Hester hörte Erde rutschen und dann einen dumpfen Schlag, als sei eine Schaufel auf festeren Grund gestoÃen. Eine Minute war nichts zu hören. Undeutlich sah sie, wie die Gestalten sich aufrichteten und sich wieder bückten, als sie Mercy hinablieÃen. Dann schaufelten sie zu dritt Erde über sie. Es war bitterkalt, und sie hörte tief im Grab das leise Klatschen von Wasser. Der Regen würde ihnen zumindest hinterher den Schlamm von den Schuhen waschen.
Es schien ewig zu dauern, bis Mercy vollkommen zugedeckt war, aber schlieÃlich war es vollbracht.
Einer der Männer kam herüber und blieb etwa drei Meter vor Hester stehen. »Wollen Sie was sagen?«, fragte er leise.
»Ja.« Hester machte einen Schritt zur Seite, näher zum Grab hin, aber weg von ihm. »Ruhe in Frieden«, sagte sie laut und deutlich, und der eisige Regen tropfte ihr ins Gesicht und wusch die Tränen weg. »Wir haben dich sehr geliebt und verstanden, und du musst keine Angst vor Gott haben. Er wird dich noch mehr lieben und noch besser verstehen. Hab keine Angst. Auf Wiedersehen, Mercy.«
»Amen«, sagten die anderen im Chor, dann gingen sie zwischen den Grabsteinen voraus zurück zum Karren und machten sich auf den Rückweg.
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Der nächste Tag verstrich, ohne dass jemand Symptome entwickelte. Sie warteten voller Angst und Hoffnung, lauschten auf jedes Husten und tasteten sich immer wieder ab. Sie putzten, machten die Wäsche, kochten, wechselten die Verbände der Verletzten, die immer noch mit ihnen gefangen waren, und kümmerten sich um diejenigen, die sich allmählich von â wie es schien â Lungenentzündung oder Bronchitis erholten.
Niemand sprach viel. Mercys Tod hatte sie alle tief getroffen. Selbst Snoot schien die Lust am Rattenfangen verloren zu haben, obwohl es ebenso gut sein konnte, dass er bereits alle erwischt hatte.
Claudine schien ein- oder zweimal etwas sagen zu wollen und setzte eine bewusst hoffnungsvolle Miene auf, doch dann schwieg sie, als wären ihre Gedanken zu zerbrechlich, um sie der harten Wirklichkeit auszusetzen, und verdoppelte ihre Anstrengungen beim Putzen oder Rühren oder was sie sonst gerade tat.
Flo schnippelte Gemüse klein, als würde sie einem Feind die Kehle aufschneiden, und kämpfte dabei die ganze Zeit mit den Tränen, und Bessie klapperte mit Töpfen und Pfannen herum und brummte vor sich hin â ob aus Kummer, wegen der Schmerzen in Schultern und Rücken oder wegen zu viel Hoffnung verriet sie jedoch niemandem. Am Abend saÃen sie zusammen um den Küchentisch und aÃen die letzte Suppe. Von jetzt an würde es nur noch Haferschleim geben, aber niemand beschwerte sich. Alle Gebete drehten sich nur um das eine, dass die Pest bald besiegt wäre.
Am Morgen klopfte einer der Männer mit den Hunden an die Hintertür. Claudine lieà ihm genug Zeit und ging erst nach einer Weile nachsehen. Sie fand eine Kiste mit Lebensmitteln, drei Kübel frisches Wasser und dazwischen sicher verstaut zwei Umschläge. Sie trug die Sachen triumphierend hinein.
Eine Nachricht war für Margaret. Hester sah zu, wie sie mit strahlendem Gesicht den Umschlag aufmachte und ihre Augen sich mit Tränen füllten. Sie las den Brief trotz der Tränen zweimal, dann schaute sie zu Hester hinüber, deren Nachricht noch ungeöffnet war.
»Von Oliver«, sagte sie und schluckte. »Er hat das Essen eigenhändig gebracht.« Unwillkürlich warf sie einen Blick Richtung Hof. »Er war direkt da drauÃen.« Sie fügte nichts weiter hinzu, denn beide Frauen wussten, welche Ãberwindung ihn das gekostet haben musste.
Hester riss ebenfalls ihren Umschlag auf und las:
Meine liebste Hester,
was Ihnen sicher am meisten am Herzen liegt, ist zu erfahren, dass Monk wohlauf ist, auch wenn er erschöpft wirkt und die Angst um Ihr Wohlergehen ihn bei lebendigem Leibe auffrisst. Er arbeitet Tag und Nacht daran, die Männer der Mannschaft von der »Maude Idris« zu finden, die abgemustert wurden, bevor das Schiff in den Pool of London einfuhr, aber wir fürchten, dass die Männer inzwischen entweder tot sind oder auf einem neuen Schiff angeheuert haben.
Es ist uns jedoch gelungen, dem Dieb, Gould, das Leben zu retten und aufgrund begründeter Zweifel einen Freispruch zu erwirken. Der Gerechtigkeit ist
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