Schwarze Themse
kommen.«
Margaret sagte nichts.
»Vielleicht kann er Dinge ertragen, die uns viel schwerer fallen oder von denen wir uns sogar abwenden«, fuhr Hester fort. »Wenn er sich vor gar nichts fürchten würde, wenn er nie vor etwas davongelaufen, nie gescheitert wäre oder sich geschämt hätte, nie Zeit und eine zweite Chance gebraucht hätte, was hätte er dann noch mit uns anderen gemein, und wie sollte er lernen, freundlich zu uns zu sein?«
Margaret schaute sie unverwandt an, suchte ihren Blick.
»Sind Sie enttäuscht?«, fragte Hester.
»Nein!«, antwortete Margaret und wandte den Blick ab. »Ich ... ich fürchte, er glaubt es, weil ich es tatsächlich einen kurzen Augenblick lang war. Und vielleicht fragt er mich nicht noch einmal. Vielleicht fragt mich niemand, aber das spielt keine Rolle, denn einen anderen will ich auch gar nicht. Abgesehen von Ihnen gibt es niemanden, den ich ... so gern habe.« Sie blickte wieder auf. »Verstehen Sie, was ich meine?«
»Vollkommen. Aber ich glaube, er wird Sie noch einmal fragen, aber wenn er vorsichtig ist, müssen Sie damit klarkommen.«
»Sie meinen, geduldig sein, warten?«
»Nein, ganz und gar nicht!«, antwortete Hester augenblicklich. »Ich meine, etwas unternehmen! Bringen Sie ihn in eine Situation, in der er gezwungen ist, sich zu erklären â nicht dass ich es auch nur im Entferntesten gewöhnt wäre, so etwas zu tun, aber ich weiÃ, dass das durchaus möglich ist.«
Sutton kam herein, Snoot direkt hinter ihm. Hester schenkte ihm Tee ein, bot ihm Toast an und lud ihn ein, sich doch zu setzen.
»Tut gut, Sie zu sehen, Miss«, sagte er zu Margaret und folgte
der Einladung. Er machte nicht viele Worte, aber sein Gesicht verriet tiefe Anerkennung, und Margaret merkte, dass sie errötete bei diesem unausgesprochenen Kompliment.
Hester nahm die Kruste von ihrem Toast und gab sie Snoot. »Ich weiÃ, das sollte ich nicht«, sagte sie zu Sutton. »Aber er hat so tolle Arbeit geleistet.«
»Er ist ein Bettler!«, sagte Sutton scharf. »Wie oft hab ich dir schon gesagt, du sollst nicht betteln, du kleiner Hund?« Seine Stimme war voller Stolz. »Er hat wirklich gute Arbeit geleistet, Miss Hester. Inzwischen habe ich schon zwei Tage keine einzige Ratte mehr gesehen.«
Bei dem Gedanken, Sutton könnte fortgehen, empfand Hester eine plötzliche Leere. Ihr wurde bewusst, wie sehr sie sich auf ihn verlieÃ, auch jetzt noch, da Margaret wieder da war. Sein Einfallsreichtum, sein eigenwilliger Mut, seine Kameradschaft waren unersetzlich.
»Es könnten immer noch welche da sein«, sagte sie schnell.
»Ich zeig Ihnen, wo ich war«, antwortete er und wartete, bis sie fertig war.
Sie trank ihren Tee, und als auch seine Tasse leer war, folgte sie ihm in die Waschküche, wo es nach Karbol, nassem Stein und Baumwolle roch. Er blieb stehen. »Seit Miss Mercy hatten wir keine neuen Pestfälle. Vielleicht packen wirâs ja«, sagte er leise. »Aber ich gehe erst, wenn Sie herausgefunden haben, wer diese Ruth Clark umgebracht hat. Nicht, dass sieâs nicht verdient hätte, aber niemand darf das Gesetz in die eigenen Hände nehmen.« Er sah sie in dem trüben Licht an. »Ich hab überlegt, es muss entweder Flo, Miss Claudine oder Miss Mercy gewesen sein, obwohl ich nicht wüsste, was für einen Grund Miss Mercy gehabt haben könnte. Hat vielleicht was mit ihrem Bruder zu tun. Bessie hättâs natürlich auch tun können, aber die ist nicht so. Die anderen waren zu schlecht dran, wenn man Bessie glauben darf, und sind ihr auch nie begegnet.«
»Oder Squeaky«, fügte sie hinzu. »Aber meines Wissens ist er
ihr auch nie begegnet. Und warum, um alles auf der Welt, sollte er sie umbringen wollen?«
»Genau«, sagte er unglücklich. »Haben Sie nicht gesagt, Mr. Louvain hat sie hergebracht?«
»Ja. Er sagte, sie sei die Geliebte eines Freundes.«
Er zog zweifelnd eine Augenbraue hoch. »Vielleicht auch nicht? Haben Sie daran gedacht, dass sie auch seine Geliebte gewesen sein könnte?«
»Natürlich.« Sie fröstelte. »Sie meinen, Mercy wusste es, kannte sie vielleicht sogar?«
»Ich denkâs nicht gerne«, sagte er traurig. »Ich will mir auch gar nicht ausmalen, dass sie deswegen hergekommen ist, um zu helfen ...«
»Um Ruth Clark
Weitere Kostenlose Bücher