Schwarze Themse
umzubringen?« Das wollte Hester nicht glauben. »Sie war schon vier Tage hier, als Ruth Clark umgebracht wurde. Wenn sie deswegen gekommen ist, hätte sie doch nicht so lange warten müssen, oder?«
»Weià nicht. Vielleicht wollte sie die Frau überreden, ihre Familie in Ruhe zu lassen?«, meinte er, die Augen vor Müdigkeit zusammengekniffen. »Aber Ruth Clark wollte Mrs. Louvain werden oder ihn auch nur ausnehmen. Miss Mercy wollte ihn vielleicht nur schützen?«
»Nein.« Diesmal war Hester sich ganz sicher. »Dafür braucht er niemanden. Wenn Ruth Clark versucht hätte, ihn zu erpressen oder auf andere Weise Geld von ihm zu bekommen, hätte er sie einfach in den Fluss geworfen.«
Er sah sie an und schüttelte leicht den Kopf. »Jemand hat ihr ein Kissen aufs Gesicht gedrückt. Glauben Sie, es war Flo oder Miss Claudine? Miss Claudine hat ein ganz schön scharfes Mundwerk, aber sie würde sich nicht dazu herablassen, jemandem etwas anzutun. Ich hab sie mit Squeaky beobachtet. Manchmal gerät sie so auÃer sich, dass ihr die Fischbeinstäbchen im Korsett fast bersten, aber sie würde ihm nie etwas tun. Flo ist da ein anderes Kaliber. Sie hätte sie ersticken können, wenn ihr wirklich die Geduld gerissen ist. Aber glauben Sie, sie
hätte es hinterher zustande gebracht, so gelassen und überrascht zu sein? Dass niemand vermutet, dass sieâs war?«
»Nein ...«
»Dann müssen Sie wohl davon ausgehen, dass es Miss Mercy war.« Sein Gesicht trug Zeichen von Müdigkeit und Bedauern. »Ich wünschte, ich hätte das nicht sagen müssen.«
»Ich habe mich nur geweigert, den Gedanken zuzulassen«, räumte Hester ein. »Ich habe da etwas zwischen den beiden gespürt, aber ich glaube nicht, dass es wirklich Hass war, und ich könnte schwören, dass Ruth keine Angst vor ihr hatte. Wenn eine solche Drohung zwischen ihnen gestanden hätte, wenn Ruth Clement Louvain erpresst oder sich eingebildet hätte, er würde sie heiraten, hätte sie doch sicher gewusst, dass Mercy versuchen würde, das zu verhindern? Hätte sie da nicht Angst haben müssen?«
Er war ganz durcheinander. »War sie dumm?«
»Ãberhaupt nicht. Sie war lebhaft und gebildet und gehörte meiner Meinung derselben sozialen Schicht an, auÃer dass Ruth wahrscheinlich Louvains Geliebte war, Mercy hingegen seine Schwester.«
Sie hörten ein Geräusch an der Tür, und Claudine kam herein. Sie wusste, dass sie störte, ging aber darüber hinweg. Ihre Augen waren düster, und sie hatte Mühe, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten. »Mrs. Monk, ich glaube, mit Mercy gehtâs zu Ende. Flo ist bei ihr, aber ich dachte, Sie wären selbst gerne dort, falls sie noch einmal zu Bewusstsein kommt.«
Hester war noch nicht so weit. Ihre Gedanken und ihr Herz waren in Aufruhr und so viele brennende Fragen noch unbeantwortet. Sie musste die Wahrheit herausfinden, wie sehr es auch schmerzte, und wenn auch nur, um Flo und Claudine von dem Verdacht zu befreien. Und sie war nicht bereit, Mercys Tod zu akzeptieren. Sie mochte Mercy, ihre Geduld, ihre Neugier, die Bereitwilligkeit, mit der sie Dinge erlernte, die völlig auÃerhalb ihres sozialen Ranges oder ihres Lebensstils
lagen, ihren groÃzügigen Geist, die Bereitwilligkeit, mit der sie Gutes über andere sagte, selbst ihre gelegentlichen Temperamentsausbrüche.
Aber die Zeit würde nicht stillstehen, die Hand der Pest griff unerbittlich zu.
»Ich komme«, sagte sie und warf Sutton einen Blick zu. Dann folgte sie Claudine durch die Küche und die Treppe hinauf zu Mercys Zimmer.
Flo saà neben dem Bett und beugte sich ein wenig vor, um Mercys Hand zu halten. Mercy lag still und mit geschlossenen Augen da. Sie atmete schwer, und ihre Haut war mit SchweiÃperlen bedeckt.
Flo stand auf, überlieà Hester ihren Platz und ging leise zur Tür.
Hester berührte Mercys Kopf, dann wrang sie den Lappen in der Schüssel mit Wasser aus und legte ihn ihr auf die Stirn. Ein paar Minuten später schlug Mercy die Augen auf. Sie sah Hester und lächelte, wobei sich nur ihre Mundwinkel ein wenig nach oben zogen.
»Ich bin hier«, flüsterte Hester. »Ich lasse Sie nicht allein.«
Mercy schien etwas sagen zu wollen. Hester tupfte ihre Lippen mit dem feuchten Lappen ab.
»Gibt es noch mehr?« Die Worte waren kaum zu
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