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Schwarze Themse

Schwarze Themse

Titel: Schwarze Themse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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denn woher sollte er das wissen? Es war zu früh.
    Er machte ein reumütiges Gesicht. »Das habe ich heute herausgefunden. Ich bin fast den ganzen Tag auf den Docks herumgelaufen. Ich wohne inzwischen seit mindestens fünfzehn Jahren in London, aber ich hatte keine Ahnung, welch eigene Welt die Docks sind. Da werden jede Woche Tausende Tonnen Ladung durchgeschleust aus allen Teilen der Welt. Erstaunlich, dass nicht mehr verloren geht.« Er beugte sich ein wenig über den Tisch – das Essen hatte er vorübergehend vergessen – und hob eindringlich die Stimme. »Es ist das Tor zur Welt, rein und raus. Die Schiffe müssen mit dem Löschen ihrer Fracht warten, bis sie einen Platz an einem der Kais bekommen. Manchmal Tage, manchmal Wochen, nachdem sie Anker geworfen haben. Die ganze Zeit sind Leute auf dem Wasser, kleine Boote, Fähren, Schlepper und natürlich die Barkassen.«
    Â»Wie willst du herausfinden, wer das Elfenbein gestohlen hat?«, unterbrach sie ihn.
    Er nahm noch einen Bissen. »Ich bin mir nicht sicher, dass ich damit anfangen kann«, antwortete er. »Ich glaube, ich muss es von der anderen Seite her angehen, herausfinden, wohin es gegangen ist, um dann von dort die Spur zurückzuverfolgen zu dem, der es gestohlen hat. Ich brauche den Dieb, denn der hat Hodge umgebracht, sonst würde ich mich nicht um ihn kümmern. Aber er hat das Elfenbein bereits an jemanden verkauft oder wird es noch tun. Alles, was gestohlen wird, wird früher
oder später verkauft, wenn man es nicht essen, verbrennen oder tragen kann.«
    Â»Verbrennen?«, sagte sie überrascht.
    Â»Kohle«, erklärte er mit einem Lächeln. »Die meisten Dreckspatzen an den Ufern sind hinter Kohle her. Einige suchen natürlich nach Nägeln oder anderen nützlichen Dingen.«
    Â»Oh … ja.« Sie hätte selbst darauf kommen müssen. Sie versuchte, sich vorzustellen, im Winter bis zu den Knien im Fluss zu waten und sich zu bücken, um irgendetwas zu suchen, was ein anderer einem abkaufen würde. Aber vielleicht war es auch nicht schlimmer, als nachts im Regen durch die Gassen zu streifen und darauf zu hoffen, für eine halbe Stunde seinen Körper verkaufen zu können. Armut und die schiere Notwendigkeit zu überleben, konnten die Sicht auf vieles verändern. Dem Himmel sei Dank, dass sie sich, falls Monk das Elfenbein nicht fand, an Callandra Daviot wenden konnten, die ihnen sicher vorübergehend helfen würde. Falls Monk es über sich brachte, sie um Hilfe zu bitten.
    Vielleicht sollte Hester zu ihr gehen und sie um eine Spende für die Klinik bitten. Gerade Callandra würde sie verstehen. Sie hatte unaufhörlich zum Wohle des Krankenhauses gearbeitet und war nie davor zurückgeschreckt, jemanden um Geld, Zeit oder sonst irgendetwas zu bitten, was sie brauchten. Manche Dame der feinen Gesellschaft hatte sie so beschämt, dass sie weit mehr gab, als sie je vorgehabt hatte.
    Hester stand auf und räumte die Teller ab. Im Herd stand ein süßer Brotauflauf, den sie jetzt herausholte und mit beträchtlichem Stolz servierte. Erst seit kurzem bekam sie ihn so gut hin. Sie beobachtete, wie Monk ihn aß, und bemerkte sein Vergnügen, das er ohne großen Erfolg zu verbergen trachtete. Er lächelte, und sie zuckte ein wenig verlegen die Schultern.
    Sie saßen noch bei Tisch, als es laut an der Haustür klopfte.
    Monk stand sofort auf, aber auch er wirkte überrascht. Es war zu spät, um einen Besuch zu machen, und er erwartete bei seinem Fall für Louvain noch keine Informationen. Entweder
war der Besuch für Hester und hatte mit einem Notfall in der Portpool Lane zu tun, oder es war ein neuer Fall für ihn.
    Hester nahm das schmutzige Geschirr und trug es hinaus in die Küche. Als sie zurückkam, stand Callandra Daviot im Wohnzimmer. Ihr Hut saß schief, und ihr Haar war so unordentlich wie stets, es lockte sich in der feuchten Luft und löste sich aus den Nadeln, was ihr allerdings nicht das Geringste ausmachte. Ihre Augen strahlten, und ihre Wangen waren gerötet. Einen Handschuh hielt sie in der Hand, der andere war nirgends zu sehen. Sie glühte vor Glück.
    Hester war hocherfreut, sie zu sehen. Sie trat vor und nahm sie in die Arme und spürte, dass Callandra es ihr nachtat.
    Â»Guten Abend, meine Liebe«, sagte Callandra herzlich.
    Â»Ich freue mich sehr, Sie zu sehen«, antwortete

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