Schwarze Themse
wieder herein, den Fluss hinauf, scheuchte die Dreckspatzen ans Ufer und hob die Schiffe, die vor Anker lagen, höher. Die Dämmerung schien an diesem Nachmittag spät hereinzubrechen. Im Westen standen klare, blasse Streifen am Himmel, und das Wasser war grau und silbern und mit tanzenden gelben Lichtern gesprenkelt.
Was hatte er in Erfahrung gebracht? Dass das Elfenbein von irgendeinem der Diebe auf dem Fluss gestohlen worden sein konnte und mit groÃer Wahrscheinlichkeit bei einem der Raffsäcke landete, der es weiterverkaufte. Aber an wen? Wer kaufte Elfenbein? Ein Händler, der es an Juweliere, Schnitzer von Ziergegenständen und Schachfiguren, Hersteller von Klaviertasten und ein Dutzend weitere Künstler und Kunsthandwerker weiterverkaufte.
Diese Ãberlegungen führten ihn zum springenden Punkt. Handelte es sich um einen Gelegenheitsdiebstahl oder um ein geplantes Verbrechen mit Blick auf einen bestimmten Hehler? Die Zeit, in der es, nach Hodges Tod zu schlussfolgern, passiert war, deutete auf Ersteres hin. Wenn die zweite Vermutung zutraf, waren Monks Chancen, das Elfenbein wiederzufinden, gering, denn dann befand es sich inzwischen mit Sicherheit längst nicht mehr in der Nähe des Flusses.
Er überquerte die StraÃe und folgte einem schmalen Bürgersteig, als ein Karren über das Kopfsteinpflaster holperte. Der Laternenanzünder hantierte fleiÃig mit seiner langen Stange, um die Dochte zu berühren und der Welt Helligkeit und die Illusion von Wärme zu schenken. Es lag kein Nebel über dem Wasser, nur der saubere Wind und die feinen Nebelschleier, die immer da waren. Im Osten, wo es am dunkelsten war und der Fluss sich über Greenwich und die Mündung der Themse Richtung Meer schlängelte, glitzerten ein paar Sterne scharf und kalt.
Monk bog um die Ecke, wo der Wind heftiger wehte, schlug den Mantelkragen hoch und zog ihn fester um den Hals und beschleunigte auf dem Weg zu Louvains Büro seine Schritte. Er musste eine Viertelstunde im Foyer warten, wo er auf dem blanken FuÃboden hin und her ging, bevor Louvain nach ihm schickte, der vermutlich wusste, dass es noch keine Neuigkeiten gab. Andernfalls wäre Monk schon früher gekommen.
In dem Büro war es warm, aber Monk konnte sich nicht entspannen. Louvain dominierte mit seiner Persönlichkeit den
Raum, auch wenn er müde aussah. Die Falten in seinem Gesicht hatten sich tiefer eingegraben, und seine Augen waren rot gerändert.
»Ich bin nur hier, weil Sie es verlangt haben«, sagte Monk. »Eigentlich müsste ich mich jetzt um meine Kontakte kümmern â¦Â«
»Ist das Ihre Art, mir zu sagen, dass Sie mehr Geld wollen?« Louvain betrachtete ihn mit unverhohlener Geringschätzung.
»Nein«, antwortete Monk kalt. »Wenn dem so wäre, würde ich es Ihnen offen sagen.« Er betrachtete Louvain eingehender. Er wäre ein Narr gewesen, hätte er eine solche Gelegenheit, ihn zu beobachten, nicht genutzt. Der Diebstahl war vielleicht zufällig geschehen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass das Elfenbein gezielt gestohlen worden war, war genauso groÃ. Er durfte nichts übersehen. Louvain stand jetzt vor seinem Schreibtisch, mit dem Rücken zu der Gaslampe an der Wand. Eine bequeme und vollkommen natürliche Position, aber je nachdem, wie er den Kopf hielt, verbarg er seinen Gesichtsausdruck, was seine Züge unnatürlich düster wirken lieÃ.
»Und wie lange dauert das?«, fragte er. Seine Stimme war scharf, Angst und vielleicht auch Müdigkeit machten sie rau. Er arbeitete viele Stunden. Möglich, dass sein Schicksal noch enger mit der Wiederbeschaffung des Elfenbeins verknüpft war, als er Monk gesagt hatte.
»Morgen werde ich wohl die ersten Informationen bekommen«, antwortete Monk überstürzt.
»Haben Sie einen Plan?«, wollte Louvain wissen. Jetzt war sein Gesicht weicher und verriet so etwas wie wachsende Hoffnung. Vielleicht sollte seine Geringschätzung die Tatsache verbergen, dass die Sache ihm ungeheuer wichtig und er auf Monk angewiesen war. Er hatte ihn beauftragt und konnte ihn bezahlen oder auch nicht, aber ohne Hilfe würde er sein Elfenbein niemals wiedersehen, und das wussten sie beide.
Monk dachte sorgfältig über seine Antwort nach. Die Spannung im Raum schien zu knistern, während sie einander musterten,
abschätzten, beurteilten. Wer besaà die Willensstärke, den anderen zu
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