Schwarze Themse
sie zumindest das Wesentliche verstanden zu haben, auch wenn sie ziemlich viele Fragen stellen musste. Als Hester schlieÃlich nach oben ging, überlegte sie, ob es nicht leichter wäre, alles selbst zu machen, statt solche unerfahrenen Hilfskräfte einzuweisen.
Wie auch immer, am Nachmittag überlieà sie es dankbar Bessie, Mrs. Burroughs zu zeigen, wie man das Geschirr abwusch, und Flo, Mercy Louvain eine Lektion im Kartoffelschälen zu geben, und ging nach oben, um sich ein paar Stunden hinzulegen.
Die Dunkelheit brach jeden Tag etwas früher herein, denn der Herbst ging allmählich in den Winter über, und gegen sechs Uhr war es sowohl dunkel als auch kalt. Gegen acht legten sie die Riegel an den Türen vor, und Hester dachte mit einem Frösteln an all jene, die durch die StraÃen liefen und auf ein Geschäft hofften, das sie am Leben hielt.
Sie ging nach oben, um zu schauen, wie es Ruth Clark ging.
Sie war kräftig genug gewesen, um ein klein wenig dünne Suppe zu sich zu nehmen, und hatte über deren Qualität gemurrt. Hester fragte sich wieder, wie viel von ihrer Gereiztheit eigentlich dem Mann galt, der sie offensichtlich geliebt oder doch zumindest begehrt hatte und sie dann, als sie krank wurde, auf die StraÃe gesetzt hatte. Wäre sie an ihrer Stelle, hätte sie die Hilfe womöglich genauso und mit ebenso unfreundlichem Gerede abgelehnt. Hatte sie den Mann geliebt? Oder war er nicht mehr gewesen als der Zugang zu ein bisschen Wohlstand? Wenn ihr etwas an ihm gelegen hatte, wenn sie vielleicht gehofft hatte, ihre Beziehung würde Bestand haben, war es nicht verwunderlich, dass sie solchen Schmerz empfand.
Dann hörte sie Flo wieder kreischen, und als sie mit groÃen Schritten die Treppe hinauflief, fand sie sie über Ruths Bett gebeugt auf diese einschimpfend. Ruths Augen glitzerten, und ihre Faust war um Flos langes schwarzes Haar geballt.
Jetzt verlor auch Hester die Beherrschung. »Aufhören!«, schrie sie, und Erschöpfung verzerrte ihre Stimme, sodass diese scharf und hoch war. »Sofort aufhören! Wir sind ein Krankenhaus und kein Freudenhaus!«
»Natürlich ist es ein Freudenhaus!«, fuhr Ruth sie an. »Ein Haus voller Huren â und Diebinnen!«
»Ich bin keine Diebin nicht!«, schrie Flo wütend und zitternd vor Empörung. »Ich hab mein ganzes Leben lang noch nie nichts gestohlen! Und Sie haben kein Recht, so was zu behaupten! Ich hab Ihren verdammten Ring nicht gesehen! Wir haben Sie aufgenommen, weil Ihr Kerl Sie rausgeworfen hat, und Sie sollten verdammt dankbar sein, dass Sie hier sind!«
»Statt wo? In der Jauchegrube?«, erwiderte Ruth und richtete sich in den Kissen auf. »Und Sie sind doch eine Diebin!«
An der Tür war ein leises Geräusch zu hören, und Hester wandte sich um. Hinter ihr stand Mercy Louvain.
»Sie hatten nie keinen verdammten Ring nicht!«, schrie Flo mit hochrotem Gesicht. »Das ganze affektierte Getue, Sie sind keinen Deut besser als wir anderen. Von mir aus können Sie aufstehen und rausgehen!«, fuhr sie gehässig fort. »Nur dass Sieâs nicht können! Ihr Kerl hat Sie rausgeworfen, und Sie haben keinen andern Ort, wo Sie hinkönnen! Wir sind die Letzten, die Sie aufnehmen, Sie räudige Stute!«
»Und wer hat Sie je gewollt, Sie ungebildetes, pockennarbiges Flittchen?«, wollte Ruth wissen.
Flo wollte sich auf sie stürzen, doch da trat Mercy Louvain an Hester vorbei und stellte sich zwischen die beiden Frauen, das Gesicht Ruth zugewandt. Flo stürzte fast über sie, wich zur Seite aus und stieà mit Hester zusammen, die sie an den Armen packte und festhielt.
»Halten Sie den Mund!«, sagte Mercy mit harter, leiser Stimme. »Sie sind krank und brauchen Hilfe. Diese Frauen haben Sie aufgenommen, um Sie zu pflegen. Sie schulden Ihnen gar nichts. Sie müssen nicht die ganze Nacht an Ihrem Bett sitzen und Sie versorgen, das sollten Sie nicht vergessen. Sie können
Sie auch auf die StraÃe setzen, wo Sie allein sind, und es ist einzig und allein ihre Güte, die diese Frauen daran hindert, genau das zu tun. Wenn Sie dieses Bett, an dem sich jemand um Sie kümmert und Ihnen etwas zu essen bringt, also nicht mit der nächsten StraÃenecke tauschen möchten, sollten Sie Ihre Zunge im Zaun halten.«
Ruth starrte sie ungläubig an. Sie begriff kaum, was geschah.
»Haben Sie mich
Weitere Kostenlose Bücher