Schwarze Themse
wie möglich davon, wusste er doch, dass er seinen Arm behandeln lassen musste, bevor er zu viel Blut verlor oder sich infizierte.
Er war etwa hundert Meter weit gegangen, als ihm klar wurde, dass er keine Ahnung hatte, wohin er ging.
Einen Augenblick blieb er stehen. Sein Arm schmerzte, und er machte sich Sorgen, ob die Verletzung ihn bei seinen weiteren Ermittlungen einschränken würde. Einarmig war er im Nachteil, was er sich kaum leisten konnte. Wo fand er einen Arzt, der ihm die Wunde verband und falls nötig nähte?
Würden sie ihm in der Klinik in der Portpool Lane helfen? Oder wurden dort nur StraÃenmädchen behandelt? Schade, dass es so weit weg war. Instinktiv drückte er den Arm an den Körper, das Blut sickerte ihm klebrig durch die Finger. Er brauchte dringend einen Arzt.
Also drehte er sich um und ging in den nächsten Laden. Metallwaren aller Art waren bis zur Decke gestapelt: Töpfe, Pfannen,
Küchenmaschinen, Gartenwerkzeuge, aber hauptsächlich Schiffsausrüstung. In der Luft lag der Geruch nach Hanfseilen, Talg, Staub und Segeltuch.
Ein kleiner Mann mit einer Brille auf der Nase schaute hinter einem Stapel Laternen auf. »Du meine Güte, was ist denn mit Ihnen passiert?«, fragte er und schaute auf Monks Arm.
»Ein Dieb«, antwortete Monk. »Ich hätte nicht mit ihm kämpfen sollen. Er hatte ein Messer.«
Der Mann richtete sich auf.
»Du meine Güte. Hat er Ihr Geld?«
»Nein. Ich kann einen Arzt bezahlen, wenn ich einen finde.«
»Kommen Sie, setzen Sie sich, bevor Sie mir umkippen. Sie sehen ein wenig käsig aus.« Er kam hinter seinen Laternen hervor und führte Monk zu einem kleinen Stuhl mit gerader Lehne. »Ein Schlückchen Rum würde Ihrem Arm sicher nicht schaden.« Er drehte sich zur Hintertür des Ladens um.
»Madge! Geh und hol die Krähe! Beeil dich. Keine Zeit zu vergeuden!«
Von irgendwo her erklang ein zustimmendes Rufen, und dann hörte man eilige Schritte und eine Tür zuschlagen.
Monk war froh, sich setzen zu können, obwohl er sich nicht so schlecht fühlte, wie der Ladenbesitzer zu glauben schien.
»Sie bleiben einfach hier sitzen«, sagte der Mann besorgt und eilte davon, um einem Kunden in einer Pijacke eine Rolle Tau und zwei Schachteln Nägel zu verkaufen, dann einem Matrosen mit blondem Bart ein Paket Nadeln zum Flicken von Segeln, ein paar hölzerne Klampen und eine Kohlenschütte.
Monk saà da und dachte darüber nach, wie der Mann auf dem Dock auf die Erwähnung von Louvains Namen reagiert hatte. Er war wütend gewesen, aber vor allem hatte er zutiefst verängstigt gewirkt. Warum? Warum sollte eine Hafenratte Angst vor einem mächtigen Mann haben? Louvains Einfluss konnte sicher vielen schaden oder nützen, die er kaum kannte. Als er noch bei der Polizei war, war Monk diese Art von Angst schon begegnet, und zwar bei kleinen schutzlosen Männern,
die ihn hassten und fürchteten, weil er Macht über sie hatte und sie das auch wissen lieÃ. Er hatte geglaubt, es sei die einzige Art, den Beruf auszuüben, aber der Preis war hoch gewesen. Traf das auch auf Louvain zu, kannte er dieses Wissen und diese Verantwortung, wusste auch er, wie man Macht ausspielte? Wie hätten sich â angesichts von Louvains Position â die Wege der beiden je kreuzen sollen?
Es gab vieles über Louvain, was er nicht wusste â Fakten, die er sowohl aus praktischen als auch aus moralischen Erwägungen heraus in Erfahrung bringen musste. Unwissenheit war gefährlich, und er taumelte durch unbekanntes Gelände, bewegte sich unter Dieben, mit denen er keine Verbindung und auf die er keinen Einfluss hatte. Auf gewisse Weise war es wie in den ersten Monaten nach seinem Unfall, als ihm alles fremd gewesen war. Er hatte Freund von Feind nicht unterscheiden können und schien immer im Nachteil zu sein.
Irgendwie war es beim zweiten Mal jedoch schwerer. Damals war seine Unwissenheit eine Art Schutz gewesen. Jetzt fühlte er sich müde und verletzbar. War es Mut oder Dummheit gewesen zuzulassen, dass ihm so vieles am Herzen lag, das zu verlieren unerträglich wehtun und sogar das Licht in ihm zerstören würde?
Der Geruch nach Tauen, Ãl und Talg war überwältigend. Wie lange saà er schon hier? Hatte er überhaupt die geringste Chance, Louvains Elfenbein zu finden? Gab es, was das anging, überhaupt den geringsten
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