Schwarze Themse
stark, und Hester hatte einige Erfahrung im Umgang mit Leichen. Nach fast fünfzehn Minuten verzweifelter Anstrengungen hatten sie es geschafft, und Bessie versprach, den anderen erst einmal nichts zu sagen. Das verschaffte Hester zumindest einen Aufschub, und sie schrubbte den Raum mit heiÃem Wasser und Essig, auch wenn sie die ganze Zeit wusste, dass es wahrscheinlich sinnlos war.
Um fünf Uhr kam Mercy, um ihr zu sagen, dass Sutton mit seinem Hund und seinen Fallen wieder da war.
»O ⦠Gott!« Hester war überwältigt vor Erleichterung.
»Ist es so schlimm?«, fragte Mercy überrascht. »Ich glaube nicht, dass ich schon eine gesehen habe. In der Waschküche war ein kleines Tier, aber ich glaube, das war eine Maus.«
»Babyratte«, sagte Hester schnell, obwohl sie keine Ahnung hatte, ob das stimmte oder nicht. »Manchmal bauen sie Nester. Ich kümmere mich dann mal um Sutton. Vielen Dank.« Damit eilte sie davon und lieà die verdutzte Mercy auf dem Treppenabsatz stehen.
Sie fand Sutton in der Küche. Snoot saà gehorsam zu seinen FüÃen und wartete darauf, dass sie mit der Arbeit anfingen.
»Vielen Dank, dass Sie so schnell gekommen sind«, sagte Hester geradewegs. »Kann ich Ihnen die Waschküche zeigen? Da sind sie, glaube ich.«
Er spürte, dass etwas nicht stimmte. Seine Stirn zog sich besorgt in Falten. »Alles in Ordnung, Miss? Sie sehen hundsmiserabel aus. Haben Sie sich etwa angesteckt? Hier, setzen Sie sich, die Ratten finde ich auch alleine. Das ist mein Beruf. Meiner und Snoots.« Er wies auf den kleinen Hund. »Wir haben alles, was wir brauchen.«
»Ich ⦠ich weiÃ.« Hester fuhr sich mit der Hand über die Augen. Ihr Kopf pochte. »Ich muss mit Ihnen reden. Ich â¦Â« Sie schluckte hart und spürte den Knoten in ihrem Magen.
Sutton machte einen Schritt auf sie zu. »Was ist los?«, fragte er freundlich. »Was ist passiert?«
Sie merkte, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen. Sie wollte lachen und weinen, es war viel schlimmer als alles, was sie sich je vorgestellt hatte. Sie wünschte von ganzem Herzen, sie könnte ihm von irgendeinem Streit, einer häuslichen Tragödie oder Befürchtungen erzählen statt von dem, was wirklich passiert war. »Unten«, sagte sie. »In der Waschküche, bitte?«
»Wenn Sie möchten«, meinte er, verwirrt und besorgt. »Komm, Snoot.«
Hester ging voraus, Sutton und der Hund folgten ihr. Sie bat ihn, die Tür zu schlieÃen, und er tat, wie ihm geheiÃen. Sie lieà die eine Kerze brennen und setzte sich auf den einzigen Stuhl, denn sie merkte, dass die Beine unter ihr nachgaben. Suttons Gesicht wirkte im flackernden Licht wie eine Maske.
»Sie jagen mir richtig Angst ein«, sagte er stirnrunzelnd. »Was ist los? Was kann so schlimm sein?«
Es ihm anzuvertrauen war eine solche Erleichterung, dass es fast wie eine Erlösung wirkte. »Ruth Clark ist tot«, sagte sie und begegnete seinem Blick. »Sie ist erstickt.«
Seine Züge verhärteten sich, aber in seiner Miene war kein Erschrecken, die Angst darin verschwand ein wenig, denn er hatte Schlimmeres erwartet. »So was passiert.« Er schürzte die Lippen. »Wollen Sie es den Polypen sagen oder sie im Stillen fortschaffen? Ich glaube, sie im Stillen fortzuschaffen wäre besser. Es ist nicht richtig, aber das ganze Haus voller Blauer wäre noch schlimmer. Ich könnte Ihnen helfen.«
»Sie wäre sowieso gestorben.« Hester hörte, dass ihre Stimme schwankte. »Sehen Sie, das ist nicht das eigentliche Problem ⦠ich meine, jemand hat sie erstickt.«
»GroÃer Gott! Ja, und? Wenn sie sowieso gestorben wäre?« Er war ganz durcheinander.
Hester holte tief Luft. »Ich dachte, sie hätte Lungenentzündung. Als ich sie waschen und für den Leichenbestatter vorbereiten wollte, habe ich ⦠habe ich entdeckt, was ihr wirklich fehlte.«
Er runzelte die Stirn. »Was kann so schlimm sein? Hatte sie Syphilis oder was in der Art? Behalten Sie es einfach für sich. Das haben viele, sogar einige, von denen man es nie denken würde. Wir sind alle Menschen.«
»Nein, das würde mir nichts ausmachen.« Plötzlich überlegte sie, ob sie es ihm wirklich erzählen sollte. Was würde er tun? Würde er in Panik geraten und rauslaufen und es überall verbreiten?
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