Schwarzer, Alice
Gleichzeitig skandieren
dieselben Frauen von der Frauenbewegung abgeguckte Slogans. Zum Beispiel: »Mein
Kopf gehört mir.« Oder: »Ich bin frei, stolz und emanzipiert.« Konfusion total?
Eine Woche zuvor - zeitgleich mit Paris - marschierte in
Berlin die zentrale deutsche Pro-Kopftuch-Demo. Während an der Seine
Zehntausende für das »Recht« von Musliminnen auf Verschleierung auch in Schulen
und im Staatsdienst auf die Straße gingen, folgten dem nationalen Aufruf an der
Spree gerade mal tausend. Zur straff organisierten Protestaktion in der
Islamisten-Hochburg am Rhein erschienen dreimal so viele und schickten von der
Kölner Domplatte aus als Gruß ins ferne Rom: »Auch die Mutter Jesu trug ein
Kopftuch!« Hatte der Papst doch erst jüngst via Kardinal Ratzinger verlauten
lassen: Der Vatikan sei gegen ein Kopftuchverbot im deutschen Schuldienst.
Fürchten die christlichen Hardliner um ihre Kreuze an der Wand?
Seit einem Vierteljahrhundert, seit dem Aufbruch von Khomeinis
Gotteskriegern, ist der Hidjab (der Schleier, das Kopftuch) das Symbol der
Islamisten und ihr Ziel das Unsichtbarmachen der Frauen. In schwer betroffenen
Ländern wie Iran, Algerien oder Afghanistan ist das schon lange schmerzlich
klar. Aber auch in den meisten westeuropäischen Staaten, wie Frankreich oder
Italien, wird das Problem der Radikalisierung des Islam seit Jahren als
solches erkannt und diskutiert.
Nur Deutschland, das lange »die Drehscheibe des terroristischen
Islamismus« war, hatte die Debatte 20 Jahre lang verschlafen. Noch nicht
einmal das Getöse der zusammenkrachenden Twin Towers konnte diesen
selbstgerechten Schlaf einer falsch verstandenen Toleranz stören.
Erst der lange Marsch einer einzelnen Frau, Fereshda
Ludin, durch alle Instanzen und ihre Verfassungsklage schreckte das Land auf.
Seit das Bundesverfassungsgericht im September 2003 den Schwarzen Peter den
Bundesländern zugespielt hat - die nun durch Landesgesetze regeln sollen, ob
sie das Kopftuch für Lehrerinnen im Schuldienst zulassen wollen oder nicht -,
wird einer rasant größer werdenden Öffentlichkeit bewusst, dass die
Kopftuchfrage vielleicht doch keine Glaubensfrage ist, sondern eine hoch
politische. Und dass hinter der angeblich nur schlicht frommen Frau Ludin,
dieser mit einem deutschen Konvertiten verheirateten Afghanin, in Wahrheit die
vom Verfassungsschutz als hoch bedenklich eingestuften Bünde wie »Islamrat« und
»Zentralrat der Muslime« stehen.
Jahrelang hatten sich diese beiden Dachorganisationen zu
Wortführern der über drei Millionen Musliminnen in Deutsch land aufgeschwungen,
obwohl sie nur eine verschwindend kleine Minderheit vertreten (Expertinnen
schätzen: maximal fünf Prozent). Diese Minderheit führte bisher quasi allein
die »interreligiösen« und »interkulturellen Dialoge« mit Politik, Kirchen und
Medien. Die muslimische Mehrheit schwieg. Schlechtgewissig und in falsch
verstandener Solidarität; aus Angst vor dem Vorwurf, den »Rassimus« zu nähren.
Jetzt endlich meldet sich diese muslimische Mehrheit zu
Wort. So lancierte zum Beispiel Laie Akgün, in der Türkei geborene
SPD-Bundestagsabgeordnete aus Köln, im Dezember eine Anti-Kopftuch-Kampagne in Hürriyet. Damit trat sie eine Lawine los. Zwei Wochen lang,
Tag für Tag, druckte das türkische Massenblatt auf der Titelseite seiner
Europa-Beilage lange Listen mit Namen und Statements von in Deutschland
lebenden Türkinnen: fast unisono contra Kopftuch, selten pro.
Nicht nur in Hürriyet, auch in
deutschen Zeitungen distanzieren Musliminnen sich neuerdings offensiv von der
radikalen Minderheit der Islamisten. So Hakki Keskin, Bundesvorsitzender der
Türkischen Gemeinde in Deutschland: »Das Tragen des Kopftuchs für Lehrerinnen
ist ein Versuch zahlenmäßig kleiner, radikaler Gruppen, die Religion für ihre
politisch-ideologische Gesinnung zu instrumentalisieren. Ihr Endziel ist ein
Staat nach dem Gesetz der Scharia. Dies sollte jedem klar sein.« (FAZ) Oder Seyran Ates, Rechtsanwältin aus Berlin: »Lehrerinnen
mit Kopftüchern wären eine Unterstützung fundamentalistischer Männer, die
kopftuchtragende Frauen als sittsam und tugendhaft ansehen, Frauen ohne
Kopftuch dagegen als unmoralisch.« (Publik Forum) Ates ist
auch eine der Erstunterzeichnerinnen von »Becklash«: ein offener Brief an
Marieluise Beck, die grüne Integrationsbeauftragte.
Mit ihrem »Aufruf wider eine Lex Kopftuch« machte Beck,
die seit Monaten auf allen Kanälen für das Kopftuch auch im
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