Schwarzer, Alice
auf der
Demo in Köln im Jahre 2004 vorneweg, beseelt von ihrem Vorbild Zaynab Ghazali,
die vor 50 Jahren schrieb: »Wir Muslime tragen Waffen, nur um Frieden zu
verbreiten. Wir wollen die Welt reinigen vom Unglauben und Atheismus.«
In Berlin waren einige Wochen zuvor 70 Exil-Iranerinnen gegen
die Übermacht der 1.000 Pro-Kopftuch-Demonstrantinnen angetreten: zur
»Verteidigung der Frauenrechte«. Wie ihre Schwestern im Sommer 2003, die sich
vor der iranischen Botschaft in Frankfurt am Main das Kopftuch demonstrativ
vom Kopf rissen. Weil es eben nicht bloß ein »Stückchen Stoff« oder ein
»religiöses Symbol« ist.
Und noch eine gute Nachricht. Am 19. Januar entschied das
Hamburger Verwaltungsgericht, dass auch muslimische Mädchen in Hamburg am
Sexualkundeunterricht teilnehmen müssen, da das Schulgesetz alle Schülerinnen
dazu verpflichtet. Keine Ausnahmegenehmigung für die türkische Mutter, die im
Namen der Religionsfreiheit gefordert hatte, dass ihre beiden Töchter nicht
aufgeklärt werden, Begründung: »Im Islam findet Sexualität nur in der Ehe
statt.« Das »Bündnis Türkischer Einwanderer« begrüßte das Urteil als »eine
Rechtsauffassung, die sich durchsetzen sollte«, denn: »Es darf nicht
hingenommen werden, wenn Fundamentalisten versuchen, die Grundwerte des
liberalen Rechtsstaats außer Kraft zu setzen.«
Endlich beginnt der Dialog. Der echte. ■ EMMA
2/2004
RITA BREUER / MOBBING GEGEN MÄDCHEN
OHNE KOPFTUCH
Im Frühjahr 2008 begannen die türkischstämmigen, gut integrierten
Eltern der 14-jährigen Aylin sich Sorgen zu machen. Das Mädchen hatte sich
über Jahre völlig unbeschwert und altersgemäß entwickelt, besuchte eine
Hauptschule in Rheinland-Pfalz und hatte zahlreiche türkische wie deutsche
Freundinnen. Wie aus dem Nichts traten plötzlich Ängste auf, Appetitlosigkeit,
ständige Kopfschmerzen, schließlich wollte Aylin nicht mehr zur Schule gehen.
Die besorgten Eltern suchten ärztliche Hilfe und folgten dem Rat, mit dem
Mädchen eine Kinder- und Jugendpsychotherapeutin aufzusuchen.
Nach mehreren intensiven Sitzungen mit Aylin bat die Therapeutin
die Eltern zu einem Gespräch. Einen wirklichen Reim konnte auch sie sich auf
das Störungsbild des sonst so aufgeschlossenen jungen Mädchens nicht machen.
Wie nebenbei erwähnte Aylins Mutter dabei, dass die Zahl der
Kopftuchträgerinnen an Aylins Schule stetig steige und ihre Tochter sich schon
einmal über dumme Bemerkungen beklagt habe, die sie täglich zu hören bekam.
Stil:
»Willst du aussehen wie eine Deutsche?« Oder: »Das Kopftuch
ist unsere Ehre - hast du keine?« Und: »Deinen Eltern ist es wohl egal, wie
über dich geredet wird.« Die darauf angesprochene Aylin kämpfte mit den Tränen
und sagte schließlich: »Es wird immer schlimmer. Und seit ich neulich im
Ramadan mein Schulbrot ausgepackt habe, ist es ganz aus. Die Kopftuch-Mädels
mobben mich total.« Das also war der Grund für die Schulmüdigkeit der
14-Jährigen.
Aylin ist kein Einzelfall. In Schulen und Ballungszentren
mit hohem Anteil konservativ-muslimischer Familien wird aus der »Freiheit« zum
Kopftuch schnell der Zwang, es tragen zu müssen; eine Entwicklung, die man in
der islamischen Welt allenthalben beobachten kann.
Warum? Was steckt hinter dem Kopftuch bzw. wofür steht das
Kopftuch? Die Vielfalt seiner Trägerinnen und Verfechterinnen verbietet
eigentlich eine eindimensionale Erklärung, und doch laufen letztlich alle
Erläuterungen der Gelehrten auf ein und dasselbe hinaus: Es geht um die
Verhüllung der weiblichen Reize und den Erhalt der islamischen Ordnung, die
für das Verhältnis von Mann und Frau genau drei Modelle vorsieht: strenge
Distanz, enge Verwandtschaft oder Ehe. Ein natürliches Miteinander der
Geschlechter gibt es nicht. Die sexuelle Anziehung zwischen den Geschlechtern
gilt - außer bei sehr enger Verwandtschaft - als geradezu unbeherrschbar stark,
sodass es der Anstand gebiete, die Geschlechter so weit wie möglich zu trennen
und den weiblichen Körper so zu verhüllen, dass seine Reize keinen Schaden
anrichten können und sexuelles Fehlverhalten gar nicht erst entstehen kann.
Während im Koran lediglich in sehr allgemeiner Form von
der sittsamen Bekleidung der Frau die Rede ist, soll der Religionsstifter
Mohammed (um 570 bis 632) eine leicht bekleidete Frau konkret angewiesen haben,
in der Öffentlichkeit nur Gesicht und Hände zu zeigen. Das war vor 14
Jahrhunderten.
Bis heute lautet die Mehrheitsmeinung der
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