Schwarzer, Alice
Gelehrten, dass
die Frau ab der Pubertät den ganzen Körper mit Ausnahme des Gesichtes, der
Hände und gegebenenfalls der Füße zu verhüllen habe und dies als Pflicht zu
betrachten sei, deren Beachtung nicht in ihrem persönlichen Ermessen liegt.
Dieser Haltung wird sowohl vonseiten des politischen Islam als auch bei der
Erziehung der Mädchen in religiös-islamischen Familien Rechnung getragen. Dass
man hierzulande trotz allem immer wieder das Begriffspaar aus Kopftuch &
Freiheit in die Debatte wirft - von der »Freiheit zum Kopftuch« bis zur
»Freiheit unter dem Kopftuch« -, ist schlichtweg zynisch.
In konservativ islamischen Ländern mit entsprechenden Regimen
ist die streng islamische Verhüllung der Frauen verbindlich vorgeschrieben,
meist auch für die Angehörigen religiöser Minderheiten und für ausländische
Besucherinnen. Jedes Zuwiderhandeln, das bereits beim Herauslugen einer kleinen
Haarlocke gegeben ist, wird streng geahndet; die Missachtung der Gemeinschaft
der Gläubigen gilt der >ehrlosen< Frau allemal. Mit der stetig
anwachsenden Einflussnahme des politischen Islam greift die islamische
Bekleidung seit Mitte der 80er Jahre auch in Europa um sich. Der Grad der
Verschleierung der Musliminnen gilt als Gradmesser islamischer
Rechtschaffenheit.
Auch das Straßenbild muslimischer Großstädte hat sich in
den letzten Jahrzehnten dramatisch verändert. In den 1960er- und 1970er-Jahren
war das Kopftuch von Kairo bis Kabul weitgehend verschwunden und westlicher
Kleidung bis hin zum Minirock gewichen. Dabei waren die Menschen nicht etwa vom
Glauben abgefallen, sondern sahen vielmehr das Kopftuch als Äußerlichkeit an,
die im 20. Jahrhundert nicht mehr zeitgemäß und vor allem nicht wesentlich für
ein gottgefälliges Leben sei.
Das aber hat sich gründlich geändert. Eine systematische
Propaganda, die internationale islamische Einflussnahme und die
Entschlossenheit, die Frauen in ihre Schranken zu weisen, haben das Kopftuch
wieder zum Inbegriff islamischen Lebens gemacht. Finanzkräftige Sponsoren sind
sich nicht zu schade dafür, etwa in Oberägypten Vätern Geld anzubieten, wenn
die studierenden Töchter das Kopftuch tragen. Und 30 Dollar im Monat sind ein überzeugendes
Argument für eine Familie, die sich wirtschaftlich kaum über Wasser halten
kann.
Folgt man der islamistischen Quellenauslegung, kann die unverschleierte
Frau so gut, verantwortungsbewusst und sozial leben, wie sie nur will - sie
wird niemals Gottes Wohlgefallen erlangen, da sie durch die Zurschaustellung
ihrer Reize zur Unzucht verführt und damit die islamische Ordnung gefährdet.
Im orthodoxen islamistischen Schrifttum, das übrigens zu
einem guten Teil von Frauen verantwortet und verbreitet wird, finden sich
eindrucksvolle Schilderungen der Höllenstrafen, die diejenigen Frauen erwarten,
die durch lockere Bekleidung die Sinne der Männer betören und sie zum Verstoß
gegen göttliches Gesetz verführen: Ihre langen Haare sind wahre Fallstricke des
Teufels.
Anders, aber mit demselben Grundtenor, lesen sich gemäßigte
moderne Äußerungen zum Thema. Darin wird das Kopftuch als Schutz der Frauen vor
den begehrlichen Blicken der Männer dargestellt, als Garant ihrer Würde und
Gleichberechtigung und als eindeutiges Signal nach außen, dass sie >nicht
zur Verfügung steht<. Doch werden Frauen und junge Mädchen auch aus dieser
Perspektive reduziert auf das Körperliche und die Eigenschaft der potenziellen
Verführerin; andere menschliche Eigenschaften der Frauen können, wenn
überhaupt, erst zum Tragen kommen und wahrgenommen werden, wenn die
Weiblichkeit verhüllt ist.
Übrigens: Auch für den männlichen Teil der muslimischen
Bevölkerung ist diese Moralvorstellung nicht gerade ein Kompliment: Sie werden
reduziert auf primitiv Reagierende mit einem Reiz-Reaktions-Schema, bei dem
Verstand und Selbstbeherrschung im Angesicht eines halbwegs als weiblich
erkennbaren Wesens aussetzen.
Ein solches Menschenbild darf selbstverständlich in
unseren Schulen nicht vermittelt werden. Oder? Im Namen der »persönlichen
Freiheit jedes Einzelnen«, argumentierte ein Sprecher des NRW-Schulministeriums
2008, müsse jede muslimische Schülerin das Recht auf ihr Kopftuch haben. Dass
es gerade mit dieser persönlichen Freiheit der muslimischen Mädchen in vielen
Fällen nicht zum Besten steht, sollte eigentlich auch im Düsseldorfer
Schulministerium angekommen sein.
In religiös-islamischen Familien werden Mädchen wie
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