Schwarzer, Alice
gemeldet. Das machte es für die deutschen Lehrerinnen
leichter, ebenfalls Farbe zu bekennen. Neumann, an der GSÜ seit Jahren
engagiert in Sachen Mädchenarbeit, fasste sich also ein Herz und nahm sich
vor, mit Referendarin Matar über Mädchensozialisation zu reden. Darüber, was
es bedeutet, wenn sie den muslimischen Mädchen in ihrer Mädchen-AG mühselig
Selbstbewusstsein vermittelt hat und da plötzlich eine Referendarin vor ihnen
steht, die meint, ihre »weiblichen Reize« bedecken zu müssen, und so
demonstriert, dass Frauen und Männer höchst ungleiche Sorten Menschen sind.
»Haben Sie sich eigentlich mal über unsere Geschichte und
unsere Kämpfe in der Frauenbewegung informiert?«, wollte die
Gesellschaftskunde-Lehrerin von der Referendarin wissen. Fehlanzeige. »Die
wusste nix. Und da hab ich zu ihr gesagt: Frau Matar, wir fallen an dieser
Schule hinter das, was wir frauenpolitisch erreicht haben, nicht mehr zurück!«
Das sieht auch Felizitas Reinert so. Die Schulleiterin
lebt unverheiratet mit einem Mann zusammen. »Das hätte mich früher den Job
gekostet, und ich bin sehr froh, dass diese Zeiten vorbei sind.« Kräfte, die
solche Zeiten wieder heraufbeschwören wollen, will die Rektorin an ihrer
Schule nicht dulden. Sie findet es selbstverständlich, dass Jungen und Mädchen
gleiche Chancen bekommen und alle Mädchen am Sportunterricht und den Klassenfahrten
teilnehmen dürfen.
Doch das Bundesverwaltungsgericht hat 1993 für rechtens erklärt,
dass muslimische Eltern ihre Töchter vom Sport fernhalten dürfen, sofern sie
gemeinsam mit Jungen unterrichtet werden. So bleibt Schulleiterin Reinert nur
eine Hilfskonstruktion: ein sogenannter »Schulvertrag«, den die Eltern bei
Einschulung ihres Kindes unterschreiben müssen und in dem sie sich verpflichten,
dass sie auch ihre Töchter an den Fahrten teilnehmen lassen. Das Ganze hat
natürlich keinerlei rechtliche Relevanz, aber die Schulleiterin hofft darauf,
dass durch die Unterschrift die Hemmschwelle der Eltern steigt. »Viele Familien
leben in einer komplett abgetrennten Welt«, klagt sie.
Als Referendarin Matar an die GSÜ kam, war Felizitas Reinert,
die ihren Job erst vor Kurzem übernommen hat, noch nicht da. Doch selbst wenn
sie schon auf Posten gewesen wäre, hätte sie aufgrund der Order der
Schulministerin nicht viel unternehmen können. Durchgesetzt wird diese Order
aus Düsseldorf an der Gesamtschule in Gelsenkirchen von der zuständigen
Bezirksregierung in Münster. Von dort reiste die zuständige Dezernentin im Mai
2001 zu einer Dienstbesprechung an und wies die sich weigernden Lehrerinnen energisch
an, »uneingeschränkt ihrer Dienstpflicht nachzukommen«, sprich: Referendarin
Matar in ihrem Unterricht hospitieren zu lassen. Am folgenden Tag stand nämlich
der Besuch einer UNESCO-Delegation ins Haus, und die Regierungsvertreterin aus
Münster ließ durchblicken, wie überaus peinlich sie es fände, wenn vor den
Augen des internationalen Besuches eine solche Intoleranz gegenüber anderen
Kulturen zum Ausdruck gebracht werde.
Die immer noch kritischen türkischen Kollegen wurden
gleich nach Münster zitiert. Ergebnis: Nach diversen jeweiligen
Einzelgesprächen unterschrieben sie eine Erklärung, in der sie sich
verpflichteten, künftig Referendarinnen mit Kopftuch in ihrem Unterricht
zuzulassen.
Niederlage auf der ganzen Linie für die Kopftuch-Kritikerinnen?
Nicht ganz. Referendarin Matar ließ sich im Juni 2001 an eine andere Schule
versetzen. Doch ist allen Beteiligten klar, dass das Problem damit nur vertagt
ist. Bis zur nächsten Referendarin, die sich mit Kopftuch vor die Klasse
stellen will.
Schon zum nächsten Halbjahrwechsel im Februar 2003 kann es
wieder so weit sein. Darum wäre es Schulleiterin Reinert entschieden lieber,
»wenn das Kopftuch für Referendarinnen und Lehrerinnen in NRW verboten wird
und Schluss«. So wie in Baden-Württemberg, wo CDU-Bildungsministerin Annette
Schavan die verschleierte Lehrerin Ludin dank ihres Verbots verhindern konnte.
Schavans Begründung: »Die Mehrheit muslimischer Frauen trägt weltweit kein
Kopftuch. Das Kopftuch wird in der innerislamischen Diskussion als politisches
Symbol gewertet.«
Das jüngste Urteil des Bundesverwaltungsgerichts gab im
Falle Ludin der baden-württembergischen Ministerin Recht. Doch wird das in
Nordrhein-Westfalen keine Folgen haben. Auch nicht nach der Ablösung von
Schulministerin Gabriele Behler (SPD) durch Ute Schäfer (SPD), die neue
Ministerin für
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