Schwarzer, Alice
Schule, Jugend und Kinder. »Es gibt keine Veranlassung, die
liberale Praxis zu ändern«, antwortete nach erfolgtem Amtswechsel Mitte
November die NRW-Pressestelle auf EMMAs Anfrage.
Anfang November war eine verschleierte Referendarin wegen
des vehementen Protestes von deutschen wie türkischen Eltern in
Düsseldorf-Garath nach Neuss versetzt worden, wo man sie »ohne Vorbehalte
aufnahm«. Die Lehramtsanwärterin für den staatlichen Schuldienst besteht nicht
nur darauf, im Unterricht Kopftuch zu tragen. Sie weigert sich auch, Männern
die Hand zu geben. Und sie bekundet offen, dass der Koran, also die Scharia,
für sie oberstes Gesetz ist. Noch immer keine Veranlassung, die »liberale«
Praxis zu ändern? ■ EMMA 1/2003
ELISABETH BADINTER / DAS KOPFTUCH IST
EIN POLITISCHES SYMBOL!
Die Debatten, die die sogenannte Schleieraffäre im Herbst
1989 in Frankreich auslöste, erinnerten in ihrer Heftigkeit an die Diskussion
um die Abtreibung oder die Todesstrafe. Mehr noch: Die Schleieraffäre löste
erstmals eine ideologische Teilung der Linken aus, innerhalb von Zeitungen,
Universitäten und unter Mitgliedern von Parteien und Gewerkschaften. Sogar die
feministische Front hatte Einbrüche zu verzeichnen.
Ein Teil der ausländischen Presse berichtete breit
darüber, aber oft, ohne wirklich zu verstehen, warum wegen drei junger Mädchen,
die im Tschador, dem Ganzkörperschleier, zur Schule kamen, das gallische Blut
so in Wallung geriet. Ich sehe noch den fassungslosen Blick einer jungen
dänischen Journalistin, die mich fragte: »Warum machen Sie ein solches Theater
um die drei Kopftücher? Hat man in Frankreich nicht das Recht, anzuziehen, was
man will?«
Um zu verstehen, warum drei Mädchen in Kopftüchern so ein
Sprengsatz sind in diesem gemächlichen Land, muss man daran erinnern, dass
diese drei armen Unschuldigen, ohne es zu ahnen, an die explosivsten Probleme
der französischen Gesellschaft gerührt haben, als da sind: das Hochschnellen
des Fundamentalismus, das Ansteigen des Rassismus sowie die erneute
Infragestellung der Gleichheit der Geschlechter und des republikanischen
Prinzips der Weltlichkeit.
Durch ihre sture Entschlossenheit, sich nicht dem allgemeinen
Gesetz zu beugen, zerrten diese drei jungen Mädchen - oder genauer: ihre Väter
- einen tiefen philosophischen Konflikt ans Licht, der schon seit einiger Zeit
unter der Asche schwelte: den zwischen den Differenzialisten und den
Universalisten. Anders gesagt: den Konflikt zwischen den Anhängern eines Rechts
auf den Unterschied und denen des Rechts auf Gleichheit.
Worum ging es damals? Nach den großen Ferien kamen drei
junge Marokkanerinnen und Tunesierinnen plötzlich mit islamischem
Ganzkörperschleier in die Klasse. Der Rektor der staatlichen Schule versuchte,
den Mädchen und ihren Vätern - Mütter bekam man nie zu Gesicht - klarzumachen,
dass die staatliche Schule in Frankreich weltlich ist und ostentative Zeichen
einer Religion (oder der Ungleichheit der Geschlechter) innerhalb der Schule
nicht gebilligt werden können - auch wenn außerhalb jeder das tun kann, was er
möchte.
Doch die Väter weigerten sich hartnäckig, sich der Regel
zu beugen, und erklärten öffentlich, sie würden nicht zurückweichen: Entweder
gingen ihre Töchter mit Hijab zur Schule oder sie blieben zu Hause.
Nun forderte die rechte Opposition die linke Regierung
auf, das Problem zu lösen. Der sozialistische Erziehungsminister ergriff in der
Nationalversammlung das Wort. Jeder erwartete, er würde an die republikanischen
Prinzipien des Laizismus (der Weltlichkeit) erinnern und den von den
muselmanischen Vätern bedrängten Schuldirektor unterstützen. Doch der Minister
forderte im Gegenteil »Toleranz mit Minderheiten«, aus Angst vor einer
Verhärtung des Fundamentalismus in Frankreich entschied er sich für die
verschleierten Mädchen. »Wenn es wirklich nicht möglich ist, sie davon zu
überzeugen, ihren Hijab auszuziehen - ja dann werden wir abwarten, ob sie ihn
später ausziehen.«
Das war der Moment, wo die Polemik losging. Die Schlagzeilen
beherrschten zwei Monate lang die Zeitungen, Radios und das Fernsehen. Fünf
Philosophen, darunter ich, appellierten feierlich an die Lehrer, die Prinzipien
der Weltlichkeit der Schule und der Gleichheit der Geschlechter zu verteidigen!
Daraufhin erschienen zahlreiche Manifeste, die uns des Rassismus
beschuldigten. Sie waren oft unterzeichnet von unseren ältesten Freunden ...
Wir haben es seit etwa zehn Jahren mit
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