Schwarzer, Alice
begann das Hauptschulsterben und die Gesamtschulen wurden
zum Auffangbecken für die Schwächsten - leistungsmäßig wie sozial. So geriet
die GSÜ bald in den Ruf, eine Art »Bronx-Schule« zu sein. Aber eine mit einem
ausgesprochen engagierten Kollegium und guten pädagogischen Konzepten.
Auch die GSÜ hatte den PISA-Knick zu beklagen: Zunächst
schienen es die Töchter und Söhne der »Gastarbeiter« an den Schulen
leistungsmäßig noch zu packen. Die zweite Generation sprach perfekt Deutsch,
machte immer öfter Abitur und wurde Sozialpädagogin oder Maschinenbauingenieur.
Aber die dritte und vierte Generation brach wieder ein. Seit Anfang der 90er-Jahre
werden die Schulabschlüsse von Migrantenkindern seltener und schlechter. Heute
geht in Nordrhein-Westfalen jeder zweite Jugendliche ausländischer Herkunft nur
mit Hauptschulabschluss oder ohne jeden Abschluss von der Schule ab (aber nur
jeder vierte Deutsche). Hauptgrund: die »fehlgeschlagene Integration«.
Um dieselbe Zeit, als die Integration »fehlzuschlagen«
begann und die von fanatischen Islamisten geschürten Parallelwelten aufblühten,
stellte Barbara Friedland, zurück von einem zweijährigen Auslandsaufenthalt,
auf dem Schulhof erschreckt fest: »Ich sehe hier nur noch Kopftücher!« Ihr
Erschrecken war doppelt groß, weil sie die zwei Jahre an einer französischen
Schule verbracht und dort die konsequente Anwendung des laizistischen
demokratischen Prinzips bei den Franzosen selbst gegenüber kopftuchtragenden
Schülerinnen erlebt hatte: Das Kopftuch hat in einer weltlichen Schule nichts
zu suchen! Anfangs war Friedland noch skeptisch, doch dann begriff sie bei
einem Fernsehinterview mit algerischen Mädchen: »Da ziehen immer Männer im
Hintergrund die Fäden. Die Mädchen werden von den Islamisten als Speerspitze
der Bewegung benutzt.«
Noch 1987 hatte der damalige Schulleiter auch in Gelsenkirchen
dem ersten Mädchen, das an der GSÜ mit Kopftuch erschien und in die
Koranschule ging, erklärt, dass das Tuch an der Schule nicht erwünscht sei.
Vier Jahre später, nach Barbara Friedlands Rückkehr Anfang der 90er, tauchten
immer mehr Mädchen mit Kopftüchern auf - und irgendwie schienen das inzwischen
alle normal zu finden.
»Und ab Mitte der 90er nahm das dann bei den Mädchen inflationär
zu«, stellt auch Ute Neumann fest. »Zumachen« nennt das die Lehrerin für
Englisch und Gesellschaftslehre. »Die Hatice war so ein lebendiges Mädchen, und
dann kam die nach den Ferien zurück und war zu!« Während sie »zu« sagt, zieht
Lehrerin Neumann mit der flachen Hand eine Grenze zwischen Gesicht und
Außenwelt.
Nicht nur die Mädchen, auch die Eltern machten unter dem Einfluss
der Hodschas und Muezzine immer mehr »zu«. »Wir sind früher oft in die Familien
eingeladen worden«, erinnert sich Lehrerin Friedland. »Heute spielen sich die
Gespräche mit muslimischen Eltern immer öfter auf dem Bürgersteig ab.« Wenn
überhaupt.
Noch vor Kurzem, als Friedland die Eltern einer hochintelligenten
14-jährigen Libanesin dazu bewegen wollte, das Mädchen doch mit auf
Klassenfahrt zu lassen, beteten die auf dem Wohnzimmerboden einfach so lange
gen Mekka, bis die Lehrerin entnervt wieder abzog. Auf Elternsprechtagen müssen
weibliche Lehrer zunehmend hinnehmen, dass ihnen muslimische Väter nicht mehr
die Hand geben. Weil Frauen »unrein« sind. »Oder die ignorieren uns ganz.«
Und nun stand also diese Referendarin vor Barbara Friedland
und wollte hospitieren. Mit Kopftuch. Für die Lehrerinnen Friedland und Neumann
war ganz klar: Das können wir nicht zulassen. Dennoch machten ihnen die
Rassismus-Vorwürfe mancher Kolleginnen zu schaffen. Neumann: »Angesichts der
deutschen Geschichte stecke ich das nicht so weg.«
Die heute 54-jährige Lehrerin hatte mit Vorwürfen dieser
Art schon mal Bekanntschaft gemacht. Nämlich als sie und andere Lehrerinnen
Ende der 80er-Jahre nach langem politisch korrektem Zögern wagten, die
steigende Gewalt und das Machotum zu benennen, das türkische Jungen noch
stärker an den Tag legten als ihre deutschen Geschlechtsgenossen. »Damals hat
man uns auch schon Rassismus vorgeworfen«, sagt Ute Neumann. Bis eine
schwangere Kollegin im Keller von fünf Jungen bedrängt wurde. »Da konnten wir
endlich anfangen, über Jungensozialisation zu reden. Auch über türkische.«
Jetzt also wieder der »Rassismus«-Vorwurf. Glücklicherweise
hatten sich im Gelsenkirchener Kopftuch-Konflikt nun auch die türkischen
Kollegen zu Wort
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