Schwarzer, Alice
Existenz des muselmanischen
Fundamentalismus in unseren Ländern und beschuldigen alle, die von dem Problem
reden, den Rassisten in die Hände zu spielen.
Doch ich bin der Meinung, dass man den Rassismus nicht bekämpfen
kann, ohne dem Fundamentalismus Einhalt zu gebieten. Es ist schwer, aber der
einzig mögliche Weg. Folgen wir ihm nicht, verlieren wir ganz den Boden unter
den Füßen. Denn dann sind wir einerseits Komplizen der fundamentalistischen
Offensive und aller ihrer furchtbaren Folgen, vor allem für Frauen. Und wir
unterstützen andererseits die rassistischen Rechtsextremen, die, um die Angst
zu schüren, den ganzen Islam gleichsetzen mit dem Fundamentalismus. Die
gefährlichste Antwort auf diese faschistische Demagogie ist das heftige
Leugnen der Existenz des Fundamentalismus.
In Wahrheit steckt hinter diesem Streit eine tiefe
grundsätzliche Meinungsverschiedenheit. In ihr stehen auf der einen Seite die
68er, die Differenzialisten, die Söhne von Michel Foucault und Levi Strauss. Sie
fordern das Recht auf den Unterschied, auf die Differenz. Auf der anderen Seite
stehen die Universalisten, die Erben der Aufklärung und der französischen
Revolution. Für sie kommt eine Aufweichung der weltlichen und republikanischen
Prinzipien, die für alle, unabhängig von Religion und Geschlecht, gelten, nicht
infrage. Die einen hüten sich vor dem Gesetz, das sie für normativ,
konformistisch, ja sogar imperialistisch halten. Die anderen setzen auf dieses
Gesetz, weil sie gegen die Gettos, gegen das Isolieren und gegen das Spalten
von Menschen in Geschlechter und Rassen sind.
Unter dem Druck der Botschaften ihrer Heimatländer legten
die Mädchen schließlich den Schleier in der Schule ab. Jedoch die wesentlichen
Fragen, die dahinterstehen, sind zurückgefallen ins Schweigen.
■ Der Text
wurde erstmals 1991 in EMMA veröffentlicht.
DJEMILA BENHABIB / HÖRT MEINEN SCHREI!
Die nachfolgende Rede hielt die
Halb-Algerierin (Mutter Zypriotin) am 13.11.2009 vor dem Senat von Paris.
Ich habe unter den Bedingungen einer islamistischen
Diktatur gelebt. Das war Anfang der 90er-Jahre. Ich war noch keine 18 Jahre
alt. Ich war schuldig, weil ich eine Frau war, weil ich Feministin war und
weil ich für die Trennung von Staat und Religion eintrat.
Ich muss Ihnen gestehen, dass ich nicht Feministin und Laizistin
aus Neigung bin, ich bin es aus Notwendigkeit, gezwungenermaßen, aus
leidvoller Erfahrung. Denn ich kann mich nicht damit abfinden, hier und überall
auf der Welt den politischen Islamismus auf dem Vormarsch zu sehen. Ich bin
Feministin und Laizistin geworden, weil ich um mich herum Frauen leiden sah,
schweigend, eingesperrt hinter verschlossenen Türen, um ihr Geschlecht und ihr
Leid zu verbergen, um ihre Sehnsüchte zu ersticken und ihre Träume zum
Schweigen zu bringen.
Es gab eine Zeit, da machte man sich in Frankreich
Gedanken um das Tragen des islamischen Kopftuchs in der Schule. Heute geht es
um den Ganzkörperschleier. Statt den Geltungsbereich des Gesetzes von 2004 auf
die Universitäten auszuweiten, diskutieren wir darüber, ob wir wandelnde Särge
auf unseren Straßen zulassen sollen. Ist das noch normal? Morgen steht
vielleicht die Polygamie auf der Tagesordnung. Lachen Sie nicht. In Kanada ist
das passiert, und die Gerichte mussten eingreifen. Denn schließlich hat die
Kultur einen breiten Rücken, wenn es darum geht, die Frauen zu unterdrücken.
Ironie des Schicksals: In mehreren Stadtvierteln habe ich
festgestellt, dass die Röcke länger werden und die Farbpalette eintöniger wird.
Es ist üblich geworden, den eigenen Körper unter einem Schleier zu verbergen.
Einen Rock zu tragen wird nun zu einem Akt des Widerstands. Während sich die
Frauen in den Straßen Teherans und Khartums unter Gefährdung ihres Lebens immer
freizügiger kleiden, ist in abgelegenen Gegenden der französischen Republik der
Schleier zur Norm geworden.
Was geht hier vor? Ist Frankreich krank? Der islamische
Schleier wird oft als Teil der »gemeinsamen moslemischen Identität« dargestellt.
Das ist falsch. Er ist überall auf der Welt das Symbol des moslemischen
Fundamentalismus. Wenn er eine besondere Bedeutung hat, dann eher eine
politische, vor allem seit dem Beginn der islamischen Revolution im Iran 1979.
Der politische Islamismus ist nicht Ausdruck einer kulturellen
Besonderheit, wie hier und da behauptet wird. Er ist eine politische
Angelegenheit, eine kollektive Bedrohung, die mit der Verbreitung
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