Schwarzer, Alice
mehr »islamische Züge« an der
Schule.
Die Lehrerinnen sind alarmiert. Sie wissen, dass es in der
Welt Regime gibt, in denen Frauen ohne Kopftuch gejagt und gefoltert und
verrutschte Kopftücher an den Kopf genagelt werden. »Und da sollen wir den
Mädchen auch noch eine Referendarin mit Kopftuch als Vorbild hinstellen?«,
empört sich Barbara Friedland.
Das nordrhein-westfälische Schulministerium jedoch sah die
Sache anders. »Das Tragen eines Kopftuchs als religiöses Symbol reicht nicht
aus, um jemanden aus dem Schuldienst zu entfernen«, lautete die Order aus
Düsseldorf. »Die Person muss an ihren Äußerungen gemessen werden.«
Sicher, Referendarin Matar äußerte sich immer nett: »Ich
würde die Schule und das Vertrauen der Eltern niemals zu eigenen Zwecken
missbrauchen und niemals versuchen, eigene Weltanschauungen zu vermitteln«,
sagte sie. »Auch von politischer Aktivität kann bei mir nicht die Rede sein.«
Kann nicht? »Frau Matar hatte die Affäre Ludin von A bis Z verfolgt. So naiv,
wie sie tut, ist sie nicht«, sagt Barbara Friedland.
In der Tat. Schon 1998 fragte der Stern: »Wie viel Multikulti darf es sein?« und berichtete über
fundamentalistische Tendenzen in Deutschland. Zwischen Bildern von betenden
Anhängern des Islamistenführers Erbakan und Mekka-Pilgern an deutschen
Grundschulen: Pädagogikstudentin Matar, 22-jährig und im sechsten Semester. Sie
»wartet gespannt darauf, wie in der Sache Ludin vor Gericht entschieden wird« (Stern).
Drei Jahre später ist Halide Matar nun also Referendarin.
Und löst an der Gesamtschule Ückendorf immer heftigere Debatten aus. Am
heftigsten protestieren die türkischen Lehrer. Die vier Männer an der
Gesamtschule sind regelrecht verzweifelt. Sie berichten ihren deutschen
Kolleginnen, wie sie in der laizistischen Türkei das bedrohliche Anwachsen der
islamischen Fundamentalisten erlebt haben. Und dass sie selbst an der
Universität von fanatisierten Islamisten bedroht und geschlagen wurden.
Dass sie jetzt mitten in Deutschland erleben müssen, wie
hier unter dem Deckmantel von Religionsfreiheit und Toleranz islamistische
Propaganda betrieben und Einfluss und auch Druck auf Eltern und Kinder ausgeübt
wird, macht sie fassungslos. Für sie ist das Kopftuch kein religiöses Symbol,
sondern ein politisches. »Das Kopftuch löst bei uns, wenn es von
Staatsvertretern wie Lehrerinnen getragen wird, unter Umständen ähnliche Gefühle
aus wie bei manchen Deutschen das Hakenkreuz«, klagt ein türkischer Lehrer
einer Kollegin.
Nun wird gemunkelt, die türkischen Lehrer hätten Drohbriefe
erhalten. Und an der Schule tauchen junge verschleierte Frauen aus einer
islamischen Studentengruppe der Universität Essen auf, an der Matar studiert
hat, und sammeln Unterschriften für das Kopftuch.
Die Gesamtschule Ückendorf, kurz: GSÜ, liegt im gleichnamigen
Stadtteil am unteren Zipfel von Gelsenkirchen. Was für die meisten Städte der
Norden, ist für Gelsenkirchen der Süden, sprich: Ückendorf ist ein Stadtteil
mit dem üblichen Schmuddel-Charme, der entsteht aus dieser Mischung aus
Bergmanns-Häuschen und 50er-Jahre-Einheitsfassaden, deutschen Kiosken und
türkischen Gemüsehändlern. Die Straßen heißen »Flöz Dickebank« oder »Flöz
Sonnenschein« und erinnern daran, dass hier vor den Zechenschließungen, von
denen auch viele türkische Bergleute betroffen waren, mal bessere Zeiten
geherrscht haben. Heute hat die Ruhrgebietsstadt die höchste Arbeitslosenquote
in Westdeutschland. JedeR Sechste ist hier ohne Job, jedeR Achte Ausländerin.
Die Geschäfte in den Straßen von Ückendorf heißen »Ümit
Fleisch«, »Bagdad Markt« oder »Nal Electronic«, gleich neben dem »Türk Export«
liegt das islamische Bestattungsinstitut.
Wie viele Nationen unter den 1.400 Schülerinnen an der GSÜ
vertreten sind, weiß niemand so genau. 17 oder vielleicht auch 27. »Sagen wir
mal so: Es gibt nicht viele Nationen, die wir nicht an unserer Schule haben«,
versucht sich Schulleiterin Reinert an einer Antwort. Jedenfalls, so viel kann
man sagen, sind drei von vier Schülerinnen in dem verschachtelten
schieferschwarzen Gebäude nicht deutscher Herkunft.
Das war nicht immer so. Als die Gesamtschule Ückendorf
1982, also vor genau 20 Jahren, als zweite in Gelsenkirchen ihre Türen öffnete,
galten noch die üblichen Gesamtschul-Grundsätze: Ein Drittel sehr gute Schüler,
ein Drittel Mittelfeld, ein Drittel schlechte; ein Viertel ausländische
Schülerinnen. Dann
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