Schwarzer, Alice
tiefen Höhlen. Bei einer Größe von 182 Zentimetern
wiegt er nur 56 Kilogramm. Über seiner Hose hängt ein langes, weißes Hemd, wie
es im Nahen Osten üblich ist.
32 Jahre ist Rafik alt, er kommt aus dem Irak. Er hatte ein
kleines Baugeschäft in Berlin. Doch nebenher betrieb Rafik noch eine andere
»Firma« - er unterstützte Ansar al-Islam, eine der aktivsten Terrorgruppen im
Irak. Die Gruppe will einen Staat schaffen, der sich streng nach der
islamischen Scharia richtet: Frauen sollen für Ehebruch gesteinigt und Dieben
die Hand abgehackt werden, Demokratie ist verpönt, selbst Musik und Kino
sollen verboten sein.
In einem kleinen Gebiet im Norden Iraks hatten sie diese
Art »Gottesstaat« schon errichtet - dort wurde Frauen Säure ins Gesicht
gespritzt, wenn sie sich nicht verschleierten, so berichten Flüchtlinge. Und
weil Rafik seinen Kampf seit seiner Verhaftung nicht mehr draußen führen kann,
hat er sich offensichtlich entschlossen, nun gegen das Gericht zu kämpfen.
»Haben Sie mich verstanden, Frau Vorsitzende«, herrscht er
die Richterin an. »Ich verstehe alles«, sagt sie ruhig. »Frau Vorsitzende, Sie
lügen«, ruft der Angeklagte Rafik. »Ich verwahre mich dagegen, dass Sie jedes
Mal, wenn Sie mit irgendetwas nicht einverstanden sind, jemandem vorwerfen,
dass er lügt«, entgegnet die Richterin. »Ich sage nicht, dass Sie gelogen
haben, Sie haben die Unwahrheit gesagt. Machen Sie keine Spielchen!«, ruft
Rafik. »Ich verbitte mir solche Ausdrücke«, sagt die Richterin. »Welchen Antrag
wollen Sie stellen«, versucht die Richterin wieder zur Verhandlung
zurückzukehren. »Das geht Sie nichts an«, raunzt Rafik ins Mikro. »Ich bin die
Vorsitzende. Es geht mich was an.«
Christine Rebsam-Bender führt ihren Prozess durch ein Gewitter
an Beleidigungen und Zwischenrufen, das jeden anderen verrückt machen würde.
Juristen nötigt das möglicherweise Respekt ab, für Besucher ist es schwer
erträglich. Die Richterin erlebt, dass sich die Angeklagten über diesen Staat
und seine Regeln geradezu lustig machen - und über sie auch. Eine Frau nehmen
sie nicht wirklich ernst.
»Stellen Sie jetzt Ihren Antrag, bitte«, sagt die
Richterin zu Rafik. »Welchen Antrag?« Rafik lacht. »Den habe ich jetzt vergessen.«
Gerade noch wollte er dringend einen Antrag stellen. »Jetzt ist Schluss mit dem
Hin und Her«, sagt die Richterin. »Ich will eine Pause«, sagt Rafik. »Sie
hatten eine Pause«, sagt die Richterin. »Da musste ich eine andere
Angelegenheit regeln.« »Stellen Sie jetzt Ihren Antrag.«
Die Vertreterin der Bundesanwaltschaft meldet sich. Oberstaatsanwältin
Silke Ritzert, eine strenge, bestimmte Frau. »Sie wollen mich beleidigen«, ruft
ihr Rafik zu. »Halt die Klappe. Ich warne Sie, Frau Staatsanwältin.« Ritzert
ist sehr kühl, sehr beherrscht. Sie sagt nur einen Satz: »Ich stelle den
Antrag, den Angeklagten aus der Verhandlung auszuschließen.« Man hört geradezu,
wie alle im Saal aufatmen. Rafik herrscht die Bundesanwältin an: »Du Arschloch,
du bist eine Frau.«
Als ihn die Justizwachtmeister diesmal wegbringen wollen,
versucht er, sie zu beißen, er schlägt mit den gefesselten Händen nach ihnen.
Einem Wachtmeister versetzt er einen Kopfstoß gegen die Schläfe.
Was sich da in Stuttgart ereignet, ist nur ein besonders
krasses Beispiel für die Missachtung demokratischer Regeln durch Islamisten.
Egal, wo Prozesse gegen Terrorverdächtige stattfinden - die Angeklagten tragen
ihr sehr spezielles Menschenbild in die Gerichtssäle.
Ihsan Garnaoui ist so ein Mann. Man kann sich sehr gut vorstellen,
wie er damals, 1995, die junge Frau aus Brandenburg bezaubert hat, die ihren
Osterurlaub in Tunesien verbrachte. Iris X. (Name geändert) hat damals einen
legeren, weitläufigen Mann kennengelernt.
»Nett, aufgeschlossen, gebildet, angenehm, unterhaltsam«,
sei ihr Mann gewesen, erzählt Iris später vor Gericht - auch wenn ihr
ehemaliger Mann nicht will, dass sie über ihn spricht. Er stellt einen Antrag,
die Öffentlichkeit auszuschließen, wenn seine Frau aussagt. »Hohes Gericht«,
sagt Garnaoui beim Prozess vor dem Kammergericht Berlin, »ich bitte, dass meine
Frau ohne Öffentlichkeit vernommen wird.« Er dürfe über so private Dinge wie
die Ehe nur mit einem Geistlichen sprechen. »Ich muss als Moslem auch etwas
dagegen unternehmen, wenn meine frühere Frau in der Öffentlichkeit darüber
reden will.«
Doch Iris X. ist keine rachsüchtige Exgattin, die noch
alte Rechnungen
Weitere Kostenlose Bücher