Schwarzer, Alice
könnten locker zwischen den acht
stehen. Sie heißen Ayaan Hirsi Ali, Neda Kelek und Seyran Ates und sind von
Beruf Politikerin, Soziologin und Anwältin. Doch das, wofür sie bekannt
geworden sind, hat weniger mit ihrem Beruf zu tun und eher mit ihren
Lebenserfahrungen.
Die eine, Hirsi Ali, hat ihre Familie irgendwie überlebt,
ist vor einer Zwangsverheiratung geflohen und hat mit ihrer Kritik am
fundamentalistischen Islam mitten in Europa eine lebensbedrohliche Fatwa auf
sich gezogen. Die andere, Ates, hat sich von einer traditionellen muslimischen
Familie, die sie bis heute liebt, schmerzlich emanzipiert und als
Mitarbeiterin eines Frauenladens die Schüsse eines Türken, Motiv Frauenhass,
nur knapp überlebt. Die dritte, Kelek, ist ebenfalls den langen Weg der zweiten
Generation von der Türkei nach Deutschland in die Selbstständigkeit gegangen
und macht zurzeit Furore als Autorin von Büchern, die über diese Erfahrung
subjektiv berichten und objektiv informieren.
Die Frauen sind drei von vielen, die endlich - nach
Jahrzehnten des Schweigens - reden. Und es werden jeden Tag mehr. Diese
Frauen riskieren viel: den Verlust der Liebe ihrer Familie, die Achtung ihrer
Community, die Heimatlosigkeit zwischen allen Fronten oder auch die psychische
und physische Einschüchterung bis hin zur Vernichtung. Doch ihrem Mut
verdanken wir alles. Sie waren es, die die Omerta gebrochen haben. Das Gesetz
des Schweigens, das besagt: Was innerhalb der Familie passiert, geht draußen
niemanden etwas an. Draußen, das sind die Nachbarn, das sind die Deutschen,
das sind die anderen.
Wir können heute von einer regelrechten Emanzipationsbewegung
junger Musliminnen in Westeuropa reden: vom Wedding Seyran Ates' über das
Amsterdam Ayaan Hirsi Alis bis hin zu den Pariser Vororten der Gruppe >Ni
putes, ni soumises< (Weder Huren noch Unterworfene). Dieser Bewegung
verdanken wir die Wahrheit über das, was da hinter verschlossenen Türen - oder
auf offener Straße - Tag für Tag passiert. Das Private ist eben immer noch
politisch.
Einer der Nebeneffekte dieser Bewegung ist ihre manchmal
voyeuristische Vermarktung durch Verlage und Medien oder der Versuch
fremdenfeindlicher Kräfte, diese bittere Wahrheit gegen ganze Menschengruppen
zu funktionalisieren: gegen »den« Islam, gegen »die« Muslime, gegen »die«
Araber etc. Das kann, ja muss kritisiert werden. Aber darum geht es hier nicht.
Die Autorinnen des »Offenen Briefes« in der Zeit sind nach eigenen Angaben »Migrationsforscher«, also aus
einer Branche, die unter den Fittichen rot-grüner Multi-Kulti-Förderung boomte.
Sie haben es jahrelang verstanden, mit ihrem politisch korrek ten »Dialog«
und ihrem Anti-Rassismus-Diskurs die wirklichen Verhältnisse zu verschleiern.
So wurde nicht nur deutsche Ignoranz genährt, sondern auch der überwältigenden
Mehrheit der nicht fundamentalistischen Menschen im muslimischen Kulturkreis
schwer geschadet. Denn deren Probleme wurden geleugnet und so immer größer.
Eigentlich wäre zu vermuten gewesen, dass diese
Islamisten-Freunde nach dem 11. September endlich nachdenklich werden. Oder
aber spätestens erschrecken angesichts der Terror-Welle gelenkter
Gottesstaatler, die für ein paar Karikaturen Botschaften und Menschen
abfackeln. Mitnichten. Sie gehen in die Offensive, im Jahr 2006. Was Gründe
hat. Das politische Klima wird kühler für die Multi-Kultis. Und der warme Strom
der Pfründe fließt jetzt weniger in die oft separatistische Migrationsforschung
und eher in integrative Initiativen.
Die Erfahrungen, Proteste, Bücher oder Filme der sich
befreienden Musliminnen sind für diese 60 vorgeblichen Migrationsforscher
(von denen laut FAZ vom 9.2.06
nur jeder Fünfte auch einer ist) nichts als »unwissenschaftlich« und
»unseriös«, »reißerische Pamphlete« oder »Boulevardliteratur«. Und arrangierte
Ehen sind für sie lediglich »das Ergebnis der Abschottungspolitik Europas
gegenüber geregelter Einwanderung«. Dass Migrationsforscher wagen, so etwas zu
schreiben, kann nur so erklärt werden, dass sie von ihren Schreibtischen an den
Unis in Bremen und Hamburg (daher kommen die meisten) oder Köln und Essen
(daher kommen ein paar) selten wegkommen und Berlin-Kreuzberg, Köln-Mülheim
oder Anatolien vorwiegend vom Papier her kennen. Vor allem aber: Seit wann
hätte jemals die Wissenschaft die Gesellschaft verändert? Das tun Betroffene -
und die Wissenschaft liefert im besten Fall objektive Informationen und
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