Schwarzer, Alice
ein Spiegel funktioniert -
eine glatte Fläche, in der wiederum in strategischem Sinne das Fremde
umgekehrt das Eigene reflektiert.«
Genug der Quälerei. Terkessidis gehört also zu dieser
Sorte postmoderner, selbstreferenzieller, pseudoradikaler Intellektueller, die
viel mit ihrer Selbstdarstellung und wenig mit dem Begreifen der Welt zu tun
haben.
»Eine einzige geballte Peinlichkeit« nennt nicht nur die
Islamwissenschaftlerin Prof. Ursula Spuler-Stegemann (»Muslime in Deutschland«)
das Traktat dieser »60 sogenannten Migrationsforscher, die den Islam und die
hiesige Lebenswirklichkeit nur selektiv wahrnehmen - und die offenbar ihre
Pfründe schwinden sehen«.
Nun, für eine Seite in der so liberalen Zeit reicht es noch immer. Doch die war aufschlussreicher, als
es ihren Autorinnen und deren Gefolgschaft lieb sein kann. ■ EMMA
2/2006
ANNETTE RAMELSBERGER / DU ARSCHLOCH. DU
BIST EINE FRAU!
Wer ins Innere des Hochsicherheitstrakts des Oberlandesgerichts
Stuttgart-Stammheim vordringt, den beschleicht innerhalb weniger Minuten das
Gefühl, in einer Zeitblase gefangen zu sein. Einer Blase, die die Atmosphäre
der Siebzigerjahre unverändert konserviert hat. Noch immer sind orangefarbene
Schalensitze aus Plastik im Gerichtssaal montiert, noch immer stehen
cremefarbene Siebzigerjahre-Telefone mit Wählscheiben im Vorraum. Anschluss gibt
es nicht. Die Telefone sind seit vielen Jahren abgeschaltet.
Hier haben die Prozesse gegen die Rote-Armee-Fraktion
(RAF) stattgefunden, die das »Schweinesystem« der Bundesrepublik durch gezielte
Anschläge erschüttern wollte und für die Frauen vor allem Handlangerinnen und
Lustobjekte waren. Auch die Angeklagten von heute wollen das »Schweinesystem«
erschüttern. Und ihr Frauenbild ist noch fataler. Die neuen Terroristen lehnen
die westliche Welt, ihre Werteordnung, ihre Trennung von Staat und Religion
grundsätzlich ab.
Für den Prozess gegen die drei irakischen Kurden Ata R.,
Mäzen H. und Rank Y. hat das Gericht die Hochsicherheitsstufe angeordnet - denn
die drei Angeklagten sollen in Berlin einen Anschlag auf einen Staatsgast
geplant und dafür möglicherweise den Tod vieler anderer Menschen in Kauf
genommen haben.
Opfer sollte der damalige Ministerpräsident des Irak
werden, Iyad Allawi, der mit den Amerikanern zusammenarbeitete und kurz vor
Weihnachten 2004 Berlin besuchte.
Wer den Prozess gegen die drei Männer verfolgt, die den
irakischen Premier töten wollten, erlebt einen immerwährenden, zermürbenden
Kampf. Es ist fast körperlich zu spüren, dass die Angeklagten es für eine
Zumutung halten, sich vor einem westlichen Gericht verantworten zu müssen, dazu
auch noch vor Frauen: Ihnen gegenüber sitzen die zwei Vertreterinnen der
Bundesanwaltschaft, vorne am Richtertisch präsidiert die Vorsitzende Richterin
Christine Rebsam-Bender, eine zurückhaltende, blonde Frau in den Fünfzigern.
Die Richterinnen betreten den Raum. Alle erheben sich -
aus Respekt vor dem Gericht. So ist es Vorschrift. Auch zwei der drei
Angeklagten stehen auf. Der dritte, Rank, erhebt sich nicht. Er erhebt sich
nie. Nicht vor einem weltlichen Gericht. Rank bleibt sitzen. Er bekommt eine
Ordnungsstrafe wegen mangelnden Respekts vor dem Gericht. Das rührt ihn nicht.
Am nächsten Tag bekommt er wieder eine. Rafik bleibt sitzen. Sein Anwalt
erklärt, Rafik stehe vor keinem Menschen auf, nur vor Gott. Man möge das nicht
persönlich nehmen. Auch in anderen Prozessen bleiben Angeklagte oder Zeugen
aus der islamistischen Szene sitzen. Im Kofferbomber-Prozess in Düsseldorf
erhob sich im März ein deutscher Konvertit erst, als ihm mit Beugehaft gedroht
wurde.
In Stuttgart führen die Angeklagten und die Richterin
einen Kampf bis auf den letzten Nerv. Der Angeklagte Rafik setzt sich erst gar
nicht hin, er legt sofort los, er schnappt sich das Mikrofon und redet die
Richterin nieder. »Es gibt eine Disziplin in der Sitzung«, erklärt sie dem
Angeklagten wie einem unverständigen Kind. »Die Vorsitzende kann das Wort
erteilen und entziehen.« Rafik hört gar nicht hin. Er schlägt wild um sich,
umstellt von sieben Justizwachtmeistern. Sie sind auf der Hut. In der Untersuchungshaft
hat er einem Wachtmeister eine Rippe gebrochen.
Der Mann sieht aus wie eine Mischung aus der Sechzigerjahre-Comic-Figur
»Prinz Eisenherz« und »König Drosselbart« aus dem Märchen. Er trägt einen
dichten, schwarzen Haarkranz, einen langen, nach vorne gebogenen schwarzen
Bart, seine Augen sitzen in
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