Schwarzer, Alice
klarzumachen,
ich sei weder Amerikanerin noch Terroristin, sondern eine harmlose Reporterin.
Mein Kugelschreiber wird trotzdem beäugt, als wäre er eine Waffe.
Am Treppenaufgang kommen mir Männer mit schwarzen Turbanen
und überlangen Barten entgegen, einer ist Halbinvalide. Taliban sehen nicht
anders aus. Als die Männer merken, dass ich keine Frau in ihrem Sinne bin,
starren sie mich kurz an und sind schon verschwunden. Ich überlege, ob sie bei
Gefechten gegen die Nato verletzt wurden und nun um Invaliden-Renten ansuchen
wollen.
Oben erzählt mir einer, sein Sohn, der Dorfpolizist, wäre
in der zentral-afghanischen Provinz Ghor umgekommen. Allein für einen
Totenschein hätte die Familie hohe Bestechungsgelder an das Büro des
Provinz-Gouverneurs zahlen müssen. Daher sei man nach Kabul gekommen, zuerst
auf der Ladefläche eines Lastwagens nach Herat gefahren und von dort mit einem
Linienbus über die riskante Ringstraße nach Kandahar und Kabul. Drei Tage
dauerte die Reise. Überall hätte man Bakschisch verlangt. Da unterbricht ihn
ein Beamter: »Hör auf zu jammern! Die Ausländer müssen ja nicht alles wissen!«
So gerne ich den Mann in das entlegene Ghor
zurückbegleitet hätte, es wäre eine Himmelfahrtsmission, selbst unter einer Burka.
Die beschützt einen ja nicht gegen Minen oder Überfälle. Abgesehen davon muss man
durch Schluchten, wüstenartige Hochplateaus ohne befahrbare Straßen, was
erklärt, warum Taliban sich meistens auf Motorrädern fortbewegen.
Zehn Tage nach meiner Ankunft in Kabul fliege ich in den
Norden, nach Kunduz. Risikofrei ist auch das nicht. Eine Woche später wird die
schrottreife Antonow auf dem Rückflug in die Hauptstadt abstürzen und über 46
Afghanen und Ausländer mit in den sicheren Tod reißen.
Doch noch fliegt sie. Sobald der Pilot die Maschine in
engen Schleifen auf Höhe gebracht hat, sehe ich unter mir das riesige
Afghanistan mit seinen unbewohnten Tälern, beinahe zweimal so groß wie
Deutschland. Doch es hat nur ein Drittel der Einwohner, 28 bis 30 Millionen.
Von oben sehe ich die Ringstraße. Zu Zeiten des Kalten
Krieges, vor Jahrzehnten, mit amerikanischen Hilfsgeldern gebaut, sollte sie
Städte wie Herat, Kandahar oder Mazare Sharif miteinander verbinden. Die
meisten Dörfer hatten nie was davon, denn sie liegen verstreut in dem riesigen
Land, oft Hunderte Kilo meter von dieser Ringstraße
entfernt. Dort Mädchenschulen errichten, das ist schon schwierig, weil man
zuerst Straßen zwischen den Dörfern braucht, sonst lässt sich keine Klasse füllen.
Während des Fluges erzählt mir der amerikanische Exmilitär
neben mir, die Amerikaner hätten nahe der afghanisch-pakistanischen Grenze um
ein Tal namens Korengal gekämpft. Deren Bewohner, ein paar Zehntausend
Menschen, hatten ihre eigene Sprache, die niemand, nicht einmal Leute aus der
nächstgrößten Stadt verstanden. Übersetzer waren unmöglich zu finden. Also zog
die amerikanische Armee vor einigen Monaten wieder ab, nicht ohne viele Tote,
unter den Afghanen wie in den eigenen Reihen.
Ich verbringe ein paar Tage im deutschen Lager von Kunduz.
Übrigens bin ich alles andere als trinkfest, was ein Nachteil ist, wenn man
Zeit mit Soldaten verbringen will. Die Stimmung im Lager ist düster. Als ich in
dem Zelt Quartier beziehe, meinen Rucksack und die kugelsichere Weste neben das
Bett lege, bedaure ich schon, nicht in einem Gästehaus in der Stadt Kunduz abgestiegen
zu sein. Die kollektive Depression hat sicher mit dem Tod der sieben Soldaten
im April zu tun, aber nicht nur.
Bürokraten in Uniform, manchmal auf Fahrrädern, die sich
an die deutsche Verkehrsordnung halten, als wäre man daheim, haben das Sagen.
Alles wird dreimal abgesichert. Ständig kommen neue Mauern dazu. Armeen
schaffen sich überall ihren gut befestigten Planeten und sind dann enttäuscht,
dass Einheimische ihnen misstrauen.
Ganz wie in Kabul fühle ich mich wohler, wenn ich
rauskann, und sei es auf Patrouille fahren. Das kann gefährlich sein, sagt man
mir. Man will mich zu einem »besonderen« Projekt bringen, einem Dorf, wo eine
Schule errichtet werden soll. Vor Ort finde ich heraus: Es ist ein von Uzbeken
bewohntes Dorf, also freundlich gesinnt.
Während der Kommandant mit den Dorfältesten hinter vier
Mauern verhandelt und Tee trinkt, erfahre ich von Einheimischen, das Dorf
hätte schon eine Schule. Eine größere aber wäre geplant. Ich werde das Gefühl
nicht los, es ist ein überflüssiges Projekt, eines, das man nur
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