Schwarzer Engel
wegzukommen. Aber Logan wurde gewalttätig und schob mich fast die Stufen hinauf. »Ist das nicht eine Hütte, wie du sie dir als Kind immer gewünscht hattest? Damals warst du doch überzeugt, man hätte dich um alles Schöne betrogen. Nun gut, hier ist sie, also schau hin!
Sollte es aber jetzt zu spät dafür sein, daß du die ganzen Mühen nicht mehr schätzen kannst, die nötig waren, um es bis hierher zu bringen, dann täte es mir leid… aber du siehst dich jetzt gefälligst um, versuch es zu begreifen und jetztzu schätzen, falls du die Hütte nie mehr wieder sehen solltest!«
Hier oben waren zwei Schlafzimmer mittlerer Größe und ein großes Doppelbad.
Logan lehnte sich gegen die Schranktür. »Auch dein Vater hat hier Geld hineingesteckt, jedenfalls schrieb Tom davon.
Vielleicht hat dein Pa die Absicht, eines Tages seine Familie hierher zu bringen.« Irgendein Ton tief in seiner Stimme brachte mich dazu, mich umzudrehen und ihm in die Augen zu schauen. Diesmal nahm ich ihn bewußt wahr. Er trug ganz normale Kleidung, als ob er sonntags nicht mehr in die Kirche ginge. Offensichtlich hatte er sich heute nicht rasiert, und die Stoppeln veränderten ihn. Er wirkte älter, sah weniger gut und perfekt aus.
»Ich bin jetzt zum Aufbruch bereit.« Damit ging ich auf die Treppe zu. »Es ist ein sehr hübsches Haus, und ich bin froh, daß Großpapa einen netten Platz hat, wo er bleiben kann und auch immer genug Essen in der Speisekammer ist.«
Diesmal gab er keine Antwort, er folgte mir nur nach unten.
Dort verabschiedete ich mich von Großpapa mit einem Kuß auf seine hagere, blasse Wange.
»Gute Nacht, Großpapa, gute Nacht, Granny. Nachdem ich ein paar Dinge erledigt habe, werde ich morgen wieder zu euch auf Besuch kommen.«
Großpapa nickte abwesend, während sein Blick starr wurde.
Er fingerte nervös an den Fransen des Schals herum, den er sich um die Schultern gelegt hatte. Es war Grannys Schal!
»War schön, dich zu sehen, Heaven-Mädchen, tat richtig gut, dich zu sehen.«
Er machte keine Anstalten, zu betteln. »Paß auf dich auf, Großpapa, hörst du?« ermahnte ich ihn in dem Provinzslang, in den ich plötzlich wieder gefallen war. »Brauchst du irgendwas, oder kann ich dir was aus der Stadt bringen?«
»Hab’ jetzt alles«, murmelte Großpapa, wobei er sich mit seinen feuchten Augen umsah. »Ne Dame kommt aus der Stadt und macht uns das Essen. Jeden Tag macht sie das. Annie meint, ’s wär nett von ihr, aber Annie könnt’ ja für uns kochen, wenn sie bloß besser seh’n könnt.«
Ich streichelte die Lehne von Grannys Stuhl, die von der Berührung durch ihre Hände glatt geworden war und glänzte.
Dann beugte ich mich vor und tat so, als ob ich ihre Wange küssen würde. Das brachte Großpapas Augen zum Strahlen. Im Vorbau stolperte ich zweimal. Wind und Regen wirkten wie Tiere, die zerstören wollten. Es war so kalt, daß mir die Luft wegblieb; der Regen machte mich blind. Rasch packte mich Logan, um zu verhindern, daß ich die Stufen hinunterfiel. Er brüllte mir etwas ins Ohr, aber der Wind übertönte mit Heulen seine Stimme. Auf den Stufen brach ich zusammen, meine Knie gaben nach. Dann hielt mich Logan schon in seinen Armen und trug mich in die Hütte zurück.
16. KAPITEL
EIN STURM KOMMT AUF
Die Zeit gaukelte mir etwas vor. Ich sah eine alte Frau, die mich an Granny erinnerte. Sie wusch mich, fütterte mich und sprach andauernd davon, daß ihr Haus zum Glück nur einen Katzensprung entfernt wäre. Denn jetzt wären die Brücken eingestürzt, und aus dem Dorf könne kein Doktor kommen.
Immer wieder sah ich Logan, wenn ich tagsüber oder in der Dunkelheit aufwachte. Er war immer da. In meinem Delirium erblickte ich Troy, der ständig meinen Namen rief. »Komm zurück, komm zurück«, sagte er unaufhörlich. »Rette mich, rette mich, rette mich.«
Aber der sintflutartige Regen hielt weiter an. Sogar wenn ich die Augen offen hatte und mehr oder weniger bei Besinnung war, hatte ich deshalb den Eindruck, irgendwo im Fegefeuer gefangen zu sein, das nicht so sehr einem Himmel, sondern eher der Hölle glich. Dann kam jener verblüffende Tag, an dem mein Verstand nicht vom Fieber getrübt war. Ich konnte den Raum rings um mich deutlich wahrnehmen und war sehr erstaunt darüber, wo ich mich befand. Ich lag in einem großen Bett, das sich in einem der oberen Schlafzimmer der wiederaufgebauten Bergbaracke befand. Schwach und blaß lag ich da und begriff, daß ich gerade die schlimmste
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