Schwarzer Koks (German Edition)
an, Miss Carlisla war damals noch im Kindergarten, sie wird sich also nicht daran erinnern, dass ich bereits einmal hier Botschafter war, zu Beginn der Neunzigerjahre. Zu Zeiten von Pablo Escobar höchstpersönlich.«
»Ich nehme an, es ist Ihre ungeheure Erfahrung auf diesem Gebiet, die Ihre Regierung zu Ihrer erneuten Ernennung bewogen hat, Sir George?«
»Ganz richtig.«
»Wie sieht denn Ihre Meinung zur Front 154 aus?«
Sir George starrte direkt in die Kamera, als versuchte er sie zu hypnotisieren. Die dunklen Augen schwebten über dem Schlackensteinblock seines Kinns.
»Die Legalisierung ist ein verabscheuenswürdiges Konzept. Sie würde den Drogenkartellen die Zügel freigeben, international zu expandieren. Sehen Sie sich nur die Situation in den Niederlanden an.«
»Was reden Sie denn da?«, fiel Lucia ihm mit einem verächtlichen Lachen ins Wort. »Wenn wir Kokain legalisieren, wird es keine Kartelle mehr geben. Die Front wird ihren Laden zumachen. Das Ganze wird eine regulierte und auch sicherere Industrie.« Sie nahm ein weiteres Blatt Papier zur Hand. »Hören Sie sich das an: ›Die Aufhebung des Drogenverbots ist die einzige Möglichkeit, der Gewalt in Lateinamerika ein Ende zu machen.‹ Das stand im
Guardian
. Und was ist damit–«
Sylvia hob wieder die Hand. »Miss Carlisla, bitte, lassen Sie Sir George doch zu Ende sprechen.«
Lucia seufzte.
Sir George hob wieder an. »Was die Front 154 anbelangt, so ist die Situation unter Kontrolle. Die Befürchtungen hinsichtlich ihres Einflusses sind maßlos übertrieben. Nichtsdestoweniger kann ich hier zu meiner Befriedigung bekanntgeben, dass meine Regierung Kolumbien weitere einhundert Millionen Pfund für den Kampf gegen Drogen, Terrorismus, Kriminalität und, selbstverständlich, auch die Front 154 bewilligt hat. Wir stehen damit, was Militärhilfe für Kolumbien anbelangt, an zweiter Stelle. Dies bedeutet eine bessere Ausbildung für Spezialkräfte, mehr Begasungsprogramme, einen verstärkten Kampf gegen die Kartelle, mehr–«
»Ach, nun hören Sie doch auf! Das ist doch gequirlte Scheiße!« Lucia schlug mit der Faust auf den Tisch. »Können Sie nicht akzeptieren, dass Sie versagt haben? Dass dieser ganze Krieg gegen die Drogen zu einem einzigen Schlamassel geraten ist?« Schweigen legte sich über das Studio. Sylvia machte große Augen.
Lucia stand auf. Sie hatte jetzt aller Aufmerksamkeit. Und sie hatte die Absicht, das auszunutzen. Zum Teufel mit den Konsequenzen.
»Hat Escobars Tod auch nur das Geringste gebracht?«, fragte sie. »Hat die Begasung halb Kolumbiens etwas gebracht? Haben die Massaker an zehntausenden von Campesinos etwas gebracht? Halten Sie uns für Idioten?«
Lucia legte eine Atempause ein. Sir Georges Augen waren zu Schlitzen geworden. Joanna war leichenblass. Sylvia sah aus wie kurz vor dem Herzanfall.
»Drogen sind eine Geisel«, sagte Sir George geradezu drohend leise. »Wir müssen sie mit allen zu Gebote stehenden Mitteln ausmerzen. Und ein Haufen liberaler Hippie-Aktivisten wird uns nun sicher nicht aus diesem Schlamassel herausführen.«
»Sie Dummkopf!« Lucia richtete einen Finger auf Sir George. »Glauben Sie wirklich, Sie können–«
Sylvia hob beide Hände. »Ich danke unseren beiden Gästen für die lebhafte Debatte.« Und an Lucia gewandt: »Setzen Sie sich.«
Lucia verstummte, ihr ganzer Schwung schlagartig dahin. Joanna nickte ihr vehement zu.
»Ich sagte, Sie sollen sich setzen«, wiederholte Sylvia.
Rauchend vor Zorn sank Lucia auf ihren Stuhl zurück. Sir George grinste. Sylvia wandte sich der Kamera zu. »Und jetzt zum Sport.« Lucia riss sich das Mikrofon von der Brust und stürmte vom Nachrichtenset.
»Denk ja nicht, dass wir dich nochmal vor Publikum lassen«, sagte Joanna, die eben aus der Studioecke trat. Ihr langes blondes Haar und der schlanke Körper brachten ihr anerkennende Blicke seitens der Kameracrew ein. »Der Vorstand dreht durch, wenn er das sieht.«
»Der Vorstand kann mir gestohlen bleiben.«
»Man verliert nicht vor laufender Kamera die Fassung«, fuhr Joanna mit finsterem Blick fort. »Damit drängst du das Publikum doch automatisch auf die Gegenseite.«
»Aber dieser Typ ist so ein Trottel!«
»Egal, du musst ruhig bleiben, besonnen. Du bist die Stimme der Vernunft, kein durchgeknalltes, campesinoküssendes, kommunistisch-subversives Guerilla-Groupie, das endlich ihre geliebten Drogen legalisiert sehen will.«
»Hab ich mich denn so angehört?«
»Das weißt du
Weitere Kostenlose Bücher